Wir haben in Deutschland großartige Morningshows, keine Frage! Da ich mich zurzeit für mein neues Buch intensiv mit dem Thema „Morgensendung“ beschäftige, stelle ich allerdings fest: wenn es um Entertainment geht, haben die Kollegen in den englischsprachigen Ländern nicht nur einen Plan, sondern einen Masterplan – allen voran die US- Amerikaner. Im Vergleich großer deutscher Morningshows mit den größten Morningshows der Welt von England bis nach Australien, stelle ich fest, dass die Kollegen in GB, den USA und Down Under von einigen „Zutaten“ eine größere Portion zu ihren Erfolgsrezepten hinzugeben als wir in Deutschland. Und zwar folgende, deren Anfangsbuchstaben sich mit dem Kunstwort PIEHSEL WUSK zusammenfassen lassen …
Persönlich
Imperfektion
Emotion
Hörer
Spannungsbogen
Empathie
Lebensweisheit
Weiterdreh
Umfeld
Soziale Medien
Konflikt
Im Detail:
P wie persönlich.
„Wenn du willst, dass deine Hörer deinem Sender gegenüber treu sind, musst du ihnen als Mensch etwas bedeuten“ (Tracy Johnson).
Vom schnarchenden Ehemann (Ellen K., Los Angelos.) und das erste Date mit der neuen Bekanntschaft (Tanya Reed, Los Angelos) über die Fehlgeburt, erneute Schwangerschaft und das Stillen der Zwilinge (Sisanie V., Los Angelos) bis hin zum Wiedersehen mit dem Mann der ersten sexuellen Begegnung (Jacky O., Sydney ) und Brustverkleinerung von 75DD auf 75C (Danielle Monaro, New York). Die Kollegen teilen (fast) alles mit ihren Hörern. Und damit schaffen sie es, eine „unkaputtbare“ Hörerbindung herzustellen. Sie schaffen Identifikationspunkte und damit BEDEUTEN SIE IHREN HÖRERN ETWAS.
Die wahren Geschichten aus dem eigenen Leben haben viele Vorteile.
Sie machen die Persönlichkeiten transparent. Sie schaffen Gemeinsamkeiten und geben Punkte zum Andocken. Auf Dauer machen sie Moderatoren zu Freunden. Und guten Freunden verzeiht man auch mal einen Fehler, vor allem aber kommt man immer wieder zu ihnen zurück.
I wie Imperfektion
Wie sympathisch ist die perfekte Frau mit 90-60-90, seidig glattem Haar, IQ 130, straffem Bindegewebe und einem Treuhandfonds?
Genau! Große Moderatoren teilen ihre Niederlagen (Fehlgeburt), kleinen Macken (kein Face Time ohne Make Up mit dem neuen Date) oder Schwächen (schafft es einfach nicht, abzunehmen) mit ihren Hörern. Sie haben kein Problem, schwach zu sein, Trauer zu zeigen oder gar Tränen on air zuzulassen.
Nicht perfekt zu sein ist total sympathisch und auch dieses Unperfekte macht uns wieder ein Stück menschlicher, mehr zum Anfassen und Andocken und vor allem Identifizieren. Denn wer ist schon fehlerfrei?
E wie Emotion
Große Moderatoren SUCHEN die große Emotion. Eine der krassesten Geschichten, die ich im amerikanischen Radio aktuell gehört habe, war die eines jungen Mannes, der als Baby lebendig vergraben und von einer vorbeifahrenden Radlerin zufällig entdeckt wurde. Der Sender hat beide nach 20 Jahren erstmals live on air zusammen gebracht. Dass das nicht in zwei Minuten zu machen war, versteht sich von selbst – inkl. „Sendeloch“ und Schluchzen on air.
Auch die eigene Emotion wird nicht versteckt, wie in einem Beispiel einer Morgenshow- Moderatorin aus den USA, die ihren Hörern erklärt hat, warum sie am Vortag nicht senden konnte: weil sie ihren Hund einschläfern lassen musste. Der Break dauerte deutlich mehr als fünf Minuten und hat jede Sekunde getragen.
Das erfordert natürlich Mut! Wir hatten kürzlich mit einer deutschen Morgenshow die Diskussion, ob man z.B. on air zugeben darf, dass man einen Partner sucht, aber Angst hat, keinen mehr zu finden. Oder ob man drüber reden soll, dass die Katze nach 23 gemeinsamen Jahren eingeschläfert wurde und man kein neues Haustier mehr möchte, weil man diese Situation nie mehr erleben will. Warum nicht? Wenn wir mit der berühmten Familien- Situation am Frühstückstisch verglichen werden wollen, gehört es dazu, die Hörer in die Familie hineinzulassen und die wichtigen Dinge des Lebens mit ihnen zu teilen. Dazu gehören persönliche Geschichten, Imperfektion und Emotion. Wer das nicht will: Augen auf bei der Berufswahl.
(Hier die Geschichte des lebendig begrabenen Babys: https://www.youtube.com/watch?v=glEqhsErVUA)
H wie Hörer
Hörer sind die wertvollste Quelle für Feedback zu Themen, für den Weiterdreh von Themen, für neue Aspekte zu Themen, für mehr echtes Leben on air.
Ich sage immer „so was kommt von so was“. Meint: wenn Hörer „lernen“, dass Hörer on air immer gut behandelt werden, wenn sie hören, dass man Anrufer nie bloßstellt, sondern immer respektvoll behandelt, werden immer mehr Hörer den Mut haben, anzurufen und ihre Erlebnisse und Meinungen mit uns zu teilen.
S wie Spannungsbogen
Große Moderatoren und große Shows erkennen den Spannungsbogen in einer Geschichte. Eine große Morningshow funktioniert entsprechend ähnlich wie eine Serie. Jede Folge/Sendung in sich hat ihre Geschichte. Und jede „Staffel“/ jede Woche/ jeder Monat/ jedes Ereignis einen eigenen zusätzlichen großen Spannungsbogen. Macht Sheldon innerhalb von 22 Folgen TBBT Amy endlich einen Heiratsantrag? Analog: wird mit Sisanie’s Schwangerschaft nach einer Fehlgeburt alles gut gehen? Wird es ein Mädchen oder ein Junge (es werden Zwillinge – ein Mädchen und ein Junge!)? Wie werden die Kinder heißen, wie klappt es mit dem Stillen? Findet Tanya mit Dr. W. endlich einen Partner? Wie laufen die ersten Dates?
E wie Empathie
In deutschen Morningshows neigen wir dazu, uns dauernd aufzuziehen und über uns gegenseitig lustig zu machen. Empathie ist oft nicht gerade unsere Stärke. Ein Fehler. Den meisten unterhaltsamen Morningshows fehlt eine Portion Empathie – nicht nur für die Hörer und die Menschen über deren Schicksale wir sprechen, sondern vor allem für die Menschen mit uns im Studio. Was erwarten Hörer von einem Unterhaltungsprogramm am Morgen? Gute Laune und positive Gefühle. Die großen Amerikaner sind darin besonders gut. Hier ein Beispiel für Empathie von Ryan Seacrest aus seiner TV Morningshow in NYC:
https://www.youtube.com/watch?v=07AzeKTs-Xs
Mehr zu den noch fehlenden Zutaten von L wie Lebensweisheit bis K wie Konflikt dann im nächsten Monat. Denn es geht nichts über einen guten Teaser J
Ihre
Yvonne Malak
Yvonne Malak
Erfolgreich Radio machen,
320 Seiten, 25 farb. Abb., Klappenbroschur
ISBN 978-3-86764-553-9
34,99 € UVK Verlag Konstanz
http://www.uvk.de/isbn/9783867645539
Yvonne Malak ist Radioberaterin und berät eine Vielzahl von Radiostationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Yvonne Malak schreibt monatlich für die radioWOCHE. Die nächste Ausgabe erscheint am 01. September 2018.
Alle bisher veröffentlichten Publikationen von Yvonne Malak finden Sie auch unter www.my-radio.biz/category/publikationen/radiowoche/