Yvonne Malak: Die 16 gefährlichsten Fallen in der Moderation (Fallen 1-8)

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert darf ich Moderatoren coachen. Insgesamt waren das im Laufe der Jahre einige tausend Airchecks in allen möglichen Musik-Formaten von Gold AC über Klassik bis CHR; Airchecks von Moderatoren aller Altersgruppen und Professionalitäts-Level für Zielgruppen von der urbanen Gen Z über den AC-Hörer auf dem Land im klassischen Familienumfeld bis hin zum Oldie-Fan Ü 60.

Egal, ob es sich um „alte Hasen“ oder Newcomer-Stars: handelt, die da on air waren und sind: es gibt einige Fallen, in die viele Kollegen immer wieder tappen…seit Jahrzehnten…

Hier die aktuellen Top 16 – Teil 1:

  1. Die Nachvollziehbarkeits- Falle

Vielleicht hast du das beim Radiohören auch schon mal erlebt: der Moderator erzählt etwas und du verstehst nur Bahnhof…

Wenn ich ein Ranking der Sätze aufstellen würde, die ich am häufigsten bei Moderatorencoachings sage, gehört der Folgende garantiert in die Top Fünf:

Jeder Break muss für jeden Hörer zu eder Zeit 100 Prozent nachvollziehbar sein“.

Wir haben in jeder Minute neue Hörer. Eine Sendung ist wie eine lockere Party: ständig kommt jemand Neues dazu und immer wieder geht jemand.

So sagte Dennis Clark, Vice President Talent Coaching der iHeartMedia Group bei den Radio Days Europe in Lissabon im Oktober 2021:

Everytime you open the mic, you have one new listener”

Jeder Break zur aktuellen Majorpromotion muss das Gewinnspiel nachvollziehbar erklären. Kurz, aber nachvollziehbar. Wenn ich auf etwas Bezug nehme, worüber ich im letzten Break gesprochen habe, muss ich die Geschichte kurz zurückholen, um alle Hörer teilhaben zu lassen und wenn ich einen Gast in mehreren Takes interviewe, muss ich ihn in jedem Take neu einführen. Es gibt bei einem meiner Lieblingssender eine Show, in der regelmäßig Gäste über mehrere Takes hinweg interviewt werden. Eigentlich mag ich diese Sendung sehr. Aber wenn ich in diese Sendung reinschalte, sitze ich oft minutenlang vor dem Radio und hab keine Ahnung, wer da zu mir spricht und warum ich das jetzt interessant finden soll – weil der Moderator wie selbstverständlich davon ausgeht, dass jeder Hörer seine Sendung von der ersten Minute an gehört hat und automatisch auch 40 Minuten nach Beginn der Show weiß, wer da heute zu Gast ist.

Die Nachvollziehbarkeits-Falle lauert in allen Bereichen.

Erfahrene Radiomacher kennen das: bis alle unser aktuelles Gewinnspiel verstanden haben, vergehen Wochen. Und auch nach vier Wochen haben wir immer wieder neue Hörer und dazu jede Menge P1- und P2- Hörer, die den Modus des Gewinnspiels immer noch nicht verstanden haben, weil sie ihr Radio nur nebenbei nutzen, außerdem noch ein oder zwei andere Sender hören bzw. sich die Details einfach nicht merken wollen. Erst recht gilt das für Details aus dem Leben der Moderatoren, die man wissen muss, um z.B. eine Bemerkung oder eine Personality-Story zu verstehen. Bis Hörer z.B. wissen, wie alt in etwa das Kind der Morgenshow-Moderatorin ist, vergehen Monate, wenn nicht Jahre! Wenn dieses Detail aber für das Verständnis einer Geschichte wichtig ist, muss man es erwähnen, sonst ist vielleicht die ganze Geschichte für den Hörer nicht nachvollziehbar.

Ich glaube, dass die Masse der Hörer in der Regel immer deutlich weniger Detailkenntnisse hat, als ich in vielen Moderationen als vorausgesetzt höre – das gilt für die Modi von Gewinnspielen genauso wie für Details aus dem Leben der Moderatoren-Persönlichkeiten und alle anderen senderspezifischen Informationen wie Sendezeiten von Benchmarks, Programmschemata, etc.

Mit anderen Worten: schließe niemals auch nur einen einzigen Hörer aus.

  1. Die Verallgemeinerungs-Falle

Kürzlich gehört: „am Wochenende haben Sie sicher auch…“. Nein, hab‘ ich nicht!
Oder „Das kennt jeder“. Nein kenne ich nicht.

Zwei kleine Worte machen aus einem Break, aus dem du Hörer mit Verallgemeinerungen wie „immer“, „jeder“, „wir alle“, “bestimmt“ etc., einen Break, in dem niemand ausgeschlossen wird: „vielleicht“ und „einige“.

„Einige von uns kennen das“, „Vielleicht haben Sie am Wochenende auch“.

  1. Die Schlechter-Tag-Falle

Jeder hat mal einen schlechten Tag. Andere Berufsgruppen können sich hinter dem Schreibtisch vergraben oder in die Werkstatt verkrümeln. Radiomoderatoren müssen auch an diesen „schlechten Tagen“ gut drauf und konzentriert sein.

Mein Rat für schlechte Tage: auf die Basics beschränken, nur das Notwendige machen und nie versuchen, extra gut drauf zu sein. Letzteres geht garantiert in die Hose. Je nach Sender, Show und Mut kann es natürlich auch eine Idee sein, den Hörer am Grund für den schlechten Tag teilhaben zu lassen.

  1. Die Blasen-Falle

Wir Radiomacher leben in den Medien bzw. Unterhaltungsmedien und damit in einer Blase. Wir kennen die meisten Protagonisten aus Film, Instagram, TikTok und natürlich der Popmusik. Der Hörer hat zu vielen dieser Menschen – seien es „Popstars“ oder Influencer – aber oft nicht mal ein Bild. Und dann sagen wir ihm in der Moderation manchmal noch nicht mal, von wem wir sprechen, bevor wir die Geschichte eines Künstlers o.ä. erzählen.

Laurell hat zwar gerade einen Megahit in den Charts. Wissen unsere Hörer aber wirklich, wie sie aussieht? Und wer ist John Newman? Interessiert sich der geneigte Radiohörer wirklich dafür, dass er seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht hat? Oder dass Tom Grennan gerade ein Bild in Badehose am Pool auf Insta gepostet hat, auf dem man seine fünf Tattoos sieht? Ich glaube, wir reden oft über Menschen, zu denen die Hörer kein Bild haben – und immer, wenn das so ist, reden wir am Hörer vorbei, schließen einen Teil unserer Hörer aus und hinterlassen ein schlechtes Gefühl.

In jedem Fall hat jeder Hörer verdient, „in den Break hineingeholt“ zu werden – im Zweifel also lieber einen halben Satz mehr zu dem Menschen sagen, über den wir reden, als „am Hörer vorbei zu sprechen“. Wenn Volker Wissing oder Lars Klingbeil in den Nachrichten zitiert werden, erklärt uns der Redakteur ja auch erstmal, in welchem Amt sich der Zitierte gerade befindet. Alles andere würde bei vielen Menschen nämlich nur Fragezeichen hinterlassen.

  1. Die Mutti Falle

„…und denken Sie an die Mund-Nasen-Schutz“…

Der „erhobene Zeigefinger“ in der Moderation passiert vielen Moderatoren schnell mal versehentlich im Eifer des Gefechts. Bringt aber leider eher Negativ-Punkte. Das war während der Corona-Pandemie besonders kritisch:

Bill De Lisle, COO von RadioAnalyzer (https://radioanalyzer.com/), dem weltweit führenden Unternehmen für Data Analytics im Radio, wertet täglich Streams von 50 Radiosendern in Europa aus und sagte mir in einem Interview für diese Website im Mai 2020:

Wir haben gesehen, dass sich die Akzeptanz der Inhalte und wie diese Inhalte genutzt werden, verändert hat…irgendwann als alle diese Informationen bekannt und ausreichend kommuniziert waren, war die ständige Erinnerung daran – z.T. mit erhobenem Zeigefinger – ein deutlicher Abschaltfaktor“.

Ich persönlich zucke beim Radiohören jedenfalls immer zusammen, wenn mir jemand aus dem Radio heraus sagen will, was ich tun oder lassen soll bzw. was gut für mich ist oder nicht.

Ganz oft passiert das nebenbei – im letzten Satz, den der Moderator noch schnell an seine Geschichte hintendran hängt. Konkret:“…wird die Polizei heute verstärkt Alkoholkontrollen durchführen. Also, wenn ihr vorhabt, auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein zu trinken, lasst das Auto stehen“.

Meine persönliche Erfahrung: wenn man sich einmal bewusst gemacht hat, was man eher weglassen sollte, passiert es kaum noch. Und wenn doch, merkt man es sofort.

  1. Die „Instant Need Fulfillment“ Falle

Teasing ist essenziell für Verweildauer, Einschaltimpulse und Imageaufbau. Manche Dinge aber müssen sofort „raus“ – erst recht in unserer vernetzten Zeit. In den 2020er Jahren ist es mehr als albern, den Wetterbericht zu teasen, den jeder sofort auf seinem Smartphone checken kann. Das gleiche gilt für wichtige Verkehrsmeldungen etc.

Besser: die „Breaking News“ sofort verkünden und ggf. weitere Details dazu teasen.

  1. Die Mittagspausen-Bergfest-Falle

Es soll Moderatoren geben, die während einer ganzen Sendeschiene mit ein bis zwei Ideen für das Abholen und Ansprechen der Hörer auskommen…z.B. „Mittagspause“ oder „Feierabend“. Da wird sich zunächst auf die Mittagspause gefreut, dann wird eine schöne Mittagspause gewünscht und dann geht es schon „Richtung Feierabend“. Mittwochs ist immer „Bergfest“ und am Donnerstag wird der „kleine Freitag“ gefeiert.

Mach dir mal den Spaß und zappe durch verschiedene Sender, z.B. zwischen 11 und 13 Uhr. Wetten, dass dir die „Mittagspause“ begegnet…? Und am Mittwoch hat bestimmt ein Kollege die Geschichte vom „Bergfest“ in seinem Repertoire.

Klar kann man das alles mal machen, als eine Idee unter hunderten anderen. Als Standard sind diese “Ideen” eher was für Anfänger und nicht für Profis… zumal es auch Hörer geben soll, die sehr gerne arbeiten gehen und für die der Donnerstag nicht der Tag vor dem Beginn des Wochenendes ist und das „Bergfest“ keine Rolle spielt.

  1. Die SFX Falle

Als wir in den 90ern SFXe als Untermalung und Verstärkung für Moderationen entdeckt haben, war das neu und klang anders als die meisten langweiligen Moderationen bei den „Öffis“ (Sender wie SWF 3, heute SWR 3. ausdrücklich ausgenommen!).

SFXe können – vorsichtig dosiert und gut „gefahren“ – klasse klingen und eine Moderation „stützen“. Aber bitte nicht übertreiben. Ein Beispiel: in einer Zeit, in der Sender reihenweise Autos verschenken und Tausender verjubeln, klingt es mehr als albern, bei der Verlosung von zwei Kinotickets künstlichen Applaus oder Jubeln aus der Konserve einzuspielen. Und wenn jemand tatsächlich eine große Geldsumme gewinnt, freut er sich sowieso und braucht keine künstliche Verstärkung.

Von einer Autofahrt zu erzählen und Auto-Geräusche drunter zu legen, ist nur albern und bringt die Moderation nicht weiter. Wenn ein Hörer am Telefon ist, braucht es vorher kein Telefonklingeln, das ist überflüssige „Spielerei“.

Ein SFX muss also dem Break nützen und sollte außerdem dezent begleitend gefahren werden, also unter der jeweiligen Moderation liegen. Bitte nicht: „als ich gestern unter Dusche stand“…. SFX Dusche….weiter im Text… wenn ein SFX schon sein muss, dann als Untermalung.

Soundeffekte sinnvoller einzusetzen mag „nur“ eine Frage eleganten Handwerks sein und einen schlechten Tag kann jeder mal haben. Immer nach vollziehbar zu sein, niemanden auszuschließen, den erhobenen Zeigefinger und Sinnlos-Teaser zu vermeiden, die Hörer immer wieder neu und kreativ anzusprechen statt redundant und eintönig sowie die eigene Blase zu verlassen – das sind alles Punkte in der Moderation, die jeder Hörer verdient hat. Schließlich schenkt er uns das Wertvollste, das er hat: seine Zeit!

In diesem Sinne: weiterhin viel Spaß beim tollsten Job der Welt – Menschen zu begleiten und zu unterhalten.


Deine
Yvonne Malak

P.S.: Weitere Moderationsfallen von „Gießkanne“ bis „Passt schon“ im Juni an dieser Stelle.

Yvonne Malak
Das Moderationshandbuch: Alles, was Radio-Profis wissen müssen
201 Seiten
ISBN 3848782723
39,00 € Nomos

Yvonne Malak ist Radioberaterin und berät eine Vielzahl von Radiostationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Yvonne Malak schreibt monatlich für die radioWOCHE. Die nächste Ausgabe erscheint am 01. April 2024.

Alle bisher veröffentlichten Publikationen von Yvonne Malak finden Sie auch unter www.my-radio.biz/category/publikationen/radiowoche/

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