Wir Programmmacher sind jetzt schon nervös und einige von uns schlafen bereits schlecht – am 29.3. um 10 Uhr wird die MA 23/I veröffentlicht. Man kann über das Tool und die Methodik denken, was man will: es ist und bleibt im nationalen Verkauf der entscheidende Parameter. Also wollen wir Macher, dass die Zahlen möglichst optimal ausfallen…
Und wenn die Zahlen über einen längeren Zeitraum von drei, vier Wellen – die üblichen Schwankungen ausdrücklich ausgenommen! – schlechter sind, haben wir jede Menge Ausreden:
„Das Medium hat Probleme“,
„alle hören Podcasts“,
„Spotify ist viel besser“,
„kein Wunder, dass keiner mehr diesen Dudelfunk hören mag“,
„die Verweildauer geht ja ständig zurück“,
„Zahlen wie vor zehn oder 15 Jahren sind heute gar nicht mehr möglich“ etc. (füge hier die beste Ausrede deines Chefs hinzu…).
Das meiste davon stimmt nicht!
Radio Hamburg hat seine Reichweiten unter dem PD Marzel Becker über 20 (!) Jahre konstant gehalten, Antenne Vorarlberg hat aktuell die höchsten Marktanteile ever und liegt mit um die 40% weit vor Ö3 (!), Hitradio RTL in Sachsen und PSR in Sachsen sind starke Programme mit fast exakt gleichen Reichweiten wie vor 10 Jahren – beide Sender haben sich aus tiefen Tälern wieder herausgearbeitet und sind auf ihr altes Niveau zurückgekehrt. Energy Sachsen spricht eine junge (!) Zielgruppe an und konnte seine Stundenreichweite in den letzten 10 Jahren ebenfalls auf demselben Niveau halten. Gong München, RSH, Radio NRW, Bayern 1 – alles Sender mit etwa den gleichen Stundennetto-Reichweiten wie vor 10 Jahren. Sender wie Das Neue Radio Seefunk haben mehr Hörer denn je in ihrer Geschichte. 80s80s hat aus dem Stand mehr Reichweiten als Antenne MV vor 10 Jahren…
Ja, die Audio-Welt ändert sich. Das heißt aber nicht gleichzeitig, dass Radio der Verlierer dieser Veränderungen ist. Grit Leithäuser, Geschäftsführerin der Radiozentrale: „Audio wächst stetig und das ist gut so. Denn wir lernen gegenseitig voneinander und entwickeln uns weiter. Gerade weil auch die Bedürfnisse und das Mediennutzungsverhalten der Menschen sich stetig verändern. Aber da sich in der Wahrnehmung auch manchmal Relationen ein bisschen verschieben, sei an dieser Stelle mal eine eindrückliche Zahl aus der letzten MA Audio 22 II genannt: Das klassische Radio macht 99,7 % des Audiomarktes aus. Laut derselben Erhebung schalten es gut 93 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahre innerhalb der letzten vier Wochen ein – das sind fast 66 Millionen. Bei der Verweildauer sind wir immer noch über vier Stunden pro Tag. Das sind sehr überzeugende Argumente und die darf man auch mal so deutlich aufzeigen. Aber ausruhen darf man sich darauf nicht“.
Schau auch mal hier: https://www.radiozentrale.de/aktionen/world-radio-day-2023/
Neben diesen guten Nachrichten gibt es auch viele Sender, die über das letzte Jahrzehnt eine Menge an Hörern verloren haben. Einige haben ihre Zahlen halbiert, manche sogar gedrittelt…
Hat bei diesen Sendern schon mal jemand drüber nachgedacht, ob die Verluste auch mit unzureichend gutem Handwerk und eventuell mangelnder Strategie zu tun haben könnten? Und darüber, dass man mit einer sinnvolleren Strategie und besserem Handwerk wieder auf alte Höhen zurückkehren könnte? Dass das funktioniert, durfte ich den vergangenen Jahren viele Male miterleben (und mitgestalten).
Vielleicht wäre es eine Idee, mit den Ausreden aufzuhören und stattdessen etwas zu verändern? Die Voraussetzungen für Erfolg haben sich in zehn, 15 Jahren natürlich geändert: die Gesellschaft wird älter, der Wettbewerb hat sich vervielfacht, immer mehr Medien kämpfen um unser Zeitbudget, in einigen Regionen gibt es immer weniger (junge) Menschen, usw. Das alles bedeutet heute mehr denn: wer seinen Hörern nicht jeden Tag die besten Gründe gibt, länger dranzubleiben und am nächsten Tag wieder einzuschalten, wird – zu Recht – bestraft. Das muss ja aber nicht sein – siehe die Beispiele oben!
Das Rezept für optimale Reichweiten kennen wir doch alle:
- Eine vernünftig erforschte Strategie, die auf dem basiert, was Unterhaltungsradio ausmacht (und das sind nicht die Nachrichten oder andere Nebenkriegsschauplätze, die gerne von einigen „Beratern“ aufgemacht werden).
- Eine konsequente Musikfarbe, die innerhalb des jeweiligen Marktes nicht verwechselt werden kann („von allem ein bisschen“ funktionierte in den 90ern als die Öffis noch geschlafen haben und der Wettbewerb viel kleiner war…).
- Eine Morgenshow auf dem Niveau von 2023 mit einem bestmöglich zusammengestellten Team (statt: „das haben wir schon immer so gemacht“).
- Eine klare und konsequente On Air Promotion (es gibt im Markt immer noch reichlich sinnlose Positionierungen, die nichts mit dem Hörerbedarf zu tun haben).
- Moderatoren aus der Lebenswelt der Hörer und die besten Stimmen, die auf dem Markt zu bekommen sind (das ist eine Investition mit Rendite…im Gegensatz zu Investitionen in Nebenkriegsschauplätze…).
- Strategisch sinnvolle Promotions, die die Probleme des jeweiligen Senders beheben oder Produkt-Vorteile stärken (statt: „das macht ja auch Sender X, dann funktioniert das sicher auch für uns“).
- Jeden Tag das Beste geben, sich anstrengen, eine Extrarunde drehen, kreativ sein – und damit die Kollegen motivieren.
Und hier acht Punkte, die dazu führen, dass ein Sender seine Hörerzahlen halbiert oder gar drittelt…
- Schwimmen im eigenen Saft (woher soll neuer Input kommen?)
- Strategien aus dem letzten Jahrtausend (was in den 90ern funktioniert hat, ist heute oftmals veraltet und kontraproduktiv, siehe oben).
- Ständiger Wechsel der Strategie (der eine oder andere frühere Vorzeigesender hat sich damit selbst gekillt – das hätte man vorhersehen können, liebe Kollegen…ihr wisst, wen ich meine…).
- Fehlende Vorbildfunktion der Führungsetage (Warum sollen sich die Mitarbeiter anstrengen und Extra-Leistung bringen, wenn die Chefs das nicht tut?)
- Zu wenig Wettbewerb im Team („Wer soll mir den schon die Sendung wegnehmen?“)
- Zu wenig Knowhow in den Bereichen Strategie, OAP, Musik, Morgenshow (Führungskräfte sitzen seit x Jahren auf ihrem Sessel und haben versäumt, sich weiterzubilden)
- Kuschel-Coaching (der „Berater“ sagt, was alle hören wollen und alle sind happy und machen weiter wie bisher…).
- Den Fokus verlieren (Konzentration auf „Spielwiesen“ statt auf die Punkte, die den Kampf um die Hörer entscheiden).
Du erkennst hier einiges aus „deinem“ Sender wieder? Schaff das ab, wenn du kannst! Sonst bist du mitverantwortlich, wenn wieder jemand unkt: „Das Radio schafft sich doch selbst ab“.
Nach der MA ist vor der MA. Oder, um Grit Leithäuser nochmal aufzugreifen: wir haben keine Zeit zum Ausruhen…
Du kannst mit dem Verändern und Verbessern des Programms „deines“ Senders jeden Tag beginnen. Und mit der richtigen Strategie und Motivation gehörst auch du zu den Kollegen, deren Sender sich aus Tälern wieder herausarbeiten oder die 2024 den besten Marktanteil ever einfahren. Es ist möglich! Fang heute damit an.
Viel Erfolg vor allem Spaß dabei!
Deine Yvonne
Yvonne Malak
Das Moderationshandbuch: Alles, was Radio-Profis wissen müssen
201 Seiten
ISBN 3848782723
39,00 € Nomos
Yvonne Malak ist Radioberaterin und berät eine Vielzahl von Radiostationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Yvonne Malak schreibt monatlich für die radioWOCHE. Die nächste Ausgabe erscheint am 01. Dezember 2024.
Alle bisher veröffentlichten Publikationen von Yvonne Malak finden Sie auch unter www.my-radio.biz/category/publikationen/radiowoche/