Mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben – die ma Radio kann das! Für mich zweimal im Jahr. Immer wieder scheinbar unerklärliche Phänomene, starke Reichweitenschwankungen oder „verschwundene“ Hörer.
Einige dieser scheinbar unerklärlichen Phänomene sind jetzt im Sommer besonders bedeutsam, denn es geht in der preisbildenden ma Radio um viel Geld. Da werden im kommenden Jahr schnell mal einige Hunderttausend Euro mehr aus der nationalen Vermarktungskombi ausgeschüttet – wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, sind es Hunderttausende weniger.
Um Licht ins ma-Dunkel zu bringen, einige (immer wieder) offene Fragen an die Frau, die die Antworten kennen muss: Henriette Hoffmann wurde 1992 für RMS zunächst Mitglied der Technischen Kommission der ag.ma und 1996 gewählte Marktforscherin der Elektronischen Medien/Radio in der ag.ma. Darüber hinaus ist sie seit mehr als 10 Jahren Sprecherin der VuMA (Verbrauchs und Medienanalyse) und in dieser Position für die deutschen Radiomacher die Ansprechpartnerin zur ma.
Über eines meiner „Lieblings-ma-Phänomene“ haben wir schon einmal gesprochen – es geht um die Verweildauer. Damals sagten Sie, dass Verweildauer u.a. etwas mit Durchhörbarkeit zu tun hat. Ich möchte bei dem Thema Verweildauer deshalb noch mal nachfragen, weil ich erstens eine Verständnisfrage habe und zweitens eine Erklärung für stark schwankende Verweildauersuche.
Yvonne Malak: Erstens: Steigt die Verweildauer sehr stark, steigt die Stundennettoreichweite. Sinkt die Verweildauer stark, brechen parallel die Reichweite weg. Ist das richtig? Wie hängen diese beiden Werte rechnerisch zusammen?
Henriette Hoffmann: Wenn es so einfach wäre, würde man sich nur auf eine hohe Verweildauer konzentrieren und alles wäre in Butter. Es gibt aber auch andere Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Es geht auch darum, viele Menschen davon zu überzeugen, einen Sender idealerweise jeden Tag einzuschalten und am besten nur den einen Sender – zumindest aus der Sicht des jeweiligen Sendeverantwortlichen. Genau das ist die Herausforderung: ein Programm zu machen, dass viele Menschen gerne lange hören und das jeden Tag.
Yvonne Malak: Zweitens: Wie kann es sein, dass ein Programm von einer ma Radio zur nächsten im selben Konkurrenzumfeld, mit derselben Strategie, der selben Morningshow und ähnlichen Marketingmaßnahmen plötzlich seine Verweildauer verdoppelt und bei einem absurd hohen Wert über 200 Minuten landet?
Henriette HoffmannWeil es in der einen Zeit vielleicht noch nicht dem Zeitgeist entspricht, erst vom Hörer wahrgenommen werden muss – und in der nächsten Erhebungszeit ist es dann so weit: Programm trifft Zeitgeist, Marketingmaßnahme hat Ziel erreicht.
Yvonne Malak: Im Gespräch mit Programmchefs und Geschäftsführern fällt ein irrationales Gefühl auf, das Sie vielleicht versachlichen können. Wir meinen, dass die ma Radio in den letzten Jahren – u.a. seit getrennter Ausweisung von Mo-Fr und Samstag – mehr Schwankungen unterliegt als vorher. Das macht ja auch Sinn, denn durch das Herausnehmen des Samstages ist die Basis ja etwas kleiner geworden, oder?
Henriette Hoffmann: Im Zuge der Umstellungen der p-Wert-Berechnung zur ma 2011 Radio I von Montag bis Samstag auf Montag bis Freitag/Samstag/Sonntag ist an der Fallzahl der ma Radio keine Veränderung vorgenommen worden – wohl aber am methodischen Vorgehen. Insofern stimmt es nicht ganz, was sie vermuten.
Aber natürlich ist es so, dass wenn ich bei gleichem Verfahren die Tage Montag bis Samstag betrachte und anschließend Montag bis Freitag/Samstag/Sonntag – Montag bis Freitag weniger Fallzahlen umfasst als Montag bis Samstag.
Yvonne Malak: Noch mal Thema Basis: Wenn wir uns in Sendern über stark veränderte Stundenreichweiten von ma Radio zu ma Radio wundern, schauen wir als nächstes auf die Tagesreichweiten bzw. Marktanteile. Diese erscheinen uns – korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege – deutlich realistischer, nachvollziehbarer und glaubwürdiger, weil aufgrund einer größeren Basis errechnet. Ist dieser Eindruck richtig?
Henriette Hoffmann: Ja, das stimmt natürlich. Die Tagesreichweite ist ein weitaus gröberer Wert als die Stundenreichweite – sie ist die Nettosumme aller Stunden.
Yvonne Malak: Einige Geschäftsführer würden sich wünschen – weil in deren Eindruck glaubwürdiger – dass die ma Radio als preisbildende Währung statt Stundennettoreichweiten die Tagesreichweiten als Basis nimmt. Ein Wunschtraum, der jeder Basis entbehrt oder ein mit etwas Fantasie vorstellbares Szenario für die Zukunft?
Henriette Hoffmann: Es geht hierbei sicherlich auch um die Frage, für wen wir das alles machen. Und da ist die Antwort klar: um Werbezeiten zu verkaufen und den Kunden, die diese kaufen wollen, die Daten für ihre Radioplanung zur Verfügung zu stellen. Bis dato forderten die Kunden Stundenreichweiten. Auch die Aufsplittung Montag bis Freitag/Samstag/Sonntag basiert auf dem Wunsch der Werbungtreibenden und Werbeagenturen. Hierauf stützt sich auch die Preisgestaltung der Sender; auf einzelne Stunden an bestimmten Tagen.
Yvonne Malak: Eine andere Bestrebung, von der ich gehört habe, war vor allem für kleinere Sender, die aufgrund einer kleineren Basis ausgewiesen werden, eine 4-Wellen-Ausweisung. Das hat natürlich Nachteile, weil ich eventuell schlechtere Wellen länger „mitnehme“ und Formatveränderungen sich nicht so schnell abbilden. Aber es hat auch Vorteile, weil wir dann von einer größeren Basis ausgehen können und starke Schwankungen – die es in meiner Wahrnehmung vorrangig bei kleineren Sendern gibt – so eher ausgeglichen werden und einem kleinen Sender nicht gleich von einem Jahr zum nächsten einige hunderttausend Euro fehlen.
Henriette Hoffmann: Starke Schwankungen sind relativ: ein großer Sender kann von ma zu ma absolut ein Vielfaches der Reichweite eines kleinen Senders verlieren oder gewinnen. So gesehen kann auch ein großer Sender ein hohes Interesse an der Zusammenfassung mehrerer Wellen haben.
Das größte Manko ist dabei die Aktualität der Daten. Aus diesem Grund haben sich auch die Radiomitglieder in der ag.ma dagegen ausgesprochen. Auch sind wir damit wieder bei der Frage „Für wen machen wir das?“ Dass Radiodaten zwei Mal im Jahr auf zwei rollierend zusammengefassten Wellen veröffentlicht werden, ist auch ein Wunsch der Kunden. Vor 15 Jahren erschienen Radiodaten nur ein Mal im Jahr. Die Aktualität der Daten war aber immer in diesem Umfang seitens der Kunden gewünscht.
Yvonne Malak: Es gibt immer wieder Märkte, in denen plötzlich Hörer „fehlen“. In Mitteldeutschland haben wir dieses Phänomen jetzt bei zwei ma-Ausweisungen hintereinander und in Berlin- Brandenburg waren die Verluste aller Sender zusammen auch höher als die Gewinne. Haben der Osten und die Hauptstadt –im Gegensatz zum Rest der Republik – plötzlich weniger Lust auf Radio. Oder ist damit zu rechnen, dass diese Hörer nächstes Jahr wieder „auftauchen“?
Henriette Hoffmann: Hier gilt es, zwei Entwicklungen auseinander zu halten und differenziert zu analysieren:
1. Die absoluten Potentiale in den einzelnen Bundesländern ändern sich von Jahr zu Jahr. Die statistischen Vorgaben, mit denen die ma in allen Tranchen arbeitet, sind die Daten des Mikrozensus – die Daten des Statistischen Bundesamtes. Diese spiegeln im weitesten Sinne auch die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland wider. Ost-West- oder Nord-Süd-Wanderungen, der Trend zur Überalterung der Bevölkerung und zu kleineren Haushalten, Zuzug in Ballungsräume oder Landflucht sind nur einige Stichworte. Jedes Jahr im Sommer arbeitet die ma Radio mit den dann vorliegenden neuen Mikrozensuszahlen – und diese spielen natürlich bei der Hochrechnung in Tausend der einzelnen Senderreichweiten auch eine Rolle. Wenn, wie in dem aktuellen Mikrozensus, in Sachsen-Anhalt 4 Prozent weniger 14 bis 49-Jährige leben als vor einem Jahr, so ist per se bei Sendern, die diese Zielgruppe ansprechen von einer niedrigeren Reichweite auszugehen. Hierbei wurden entsprechende gegenläufige Programmentwicklungen dann allerdings nicht mit berücksichtigt.
2. Verändert sich die Radionutzung wie jede andere Art der Mediennutzung auch. Und sie ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. So hatten wir in den Jahren 2002/2003 einen Rückgang der Radionutzung zu verzeichnen: dies hatte mit dem Aufkommen der MP3-Player und einfacher Downloadmöglichkeiten von „Audiodateien“ zu tun. Mittlerweile ist die Radionutzung aber wieder gestiegen.
Es hat also auch damit zu tun, wie gut Sender mit all ihren Aktivitäten den Nerv der Zeit und das Gefühl ihrer Hörer treffen. So entwickelt sich Radio auch insgesamt von ma zu ma. Aktuell stellen wir eine prozentual stärkere Nutzung an einem durchschnittlichen Tag fest: In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen beispielsweise stieg die Reichweite gegenüber der ma 2012 Radio I von 79,0 auf 80,1 Prozent, bei den 30 bis 59-Jährigen von 84,3 auf 85,1 Prozent und bei den über 50-Jährigen von 81,4 auf 81,7 Prozent. Das ist natürlich graduell von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich – die östlichen Bundesländer sind aber immer noch die Gebiete mit überdurchschnittlicher Radionutzung.
Yvonne Malak: Vielen Dank für die Antworten!
Das Interview wurde im August 2012 geführt.
Ihre
Yvonne Malak
Yvonne Malak ist Radioberaterin und berät eine Vielzahl von Radiostationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Yvonne Malak schreibt monatlich für die radioWOCHE. Die nächste Ausgabe erscheint am 01. August 2014.
Alle bisher veröffentlichten Publikationen von Yvonne Malak finden Sie auch unter www.my-radio.biz/category/publikationen/radiowoche/