Yvonne Malak: Haut mal auf die K…e!

Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“.

Lasst uns doch mal auf die K…e hauen und die Bescheidenheit vergessen…

Radio ist nach wie vor ein so starkes Medium und wir schaffen es nicht, die PS auf die Straße zu bringen. Erzähl mal einem Zeitungsverleger, dass dein Medium von dreiviertel aller Deutschen jeden Tag stundenlang genutzt wird. Jeden Tag! Und das im Schnitt 242 Minuten. Berufstätige hören sogar noch länger (Marktanteil Radio hier 76,2 Prozent, Verweildauer 250 Minuten).

Und trotzdem machen wir zu wenig Umsatz.

Dazu sechs „bescheidene“ Fragen. Denn wir sollten mehr auf die K…e hauen.

Bescheidene Frage Nummer 1:
Warum nutzt Radio nicht das Radio viel intensiver, um auf sich als Top-Werbemedium aufmerksam zu machen?

Wie wäre es mit einer aggressiven B2B Kampagne? Wir können doch Kampagnen! Mit Testimonials, mit Musik, mit Gänsehautproduktion… Lassen wir zufriedene Kunden sprechen, die Erfolg mit Radio-Kampagnen haben!

Die Radiozentrale hat zum Glück einen Anfang gemacht und eine B2B Kampagne gelauncht, die Sender kostenlos für sich nutzen können. Im Namen der Kollegen: Danke dafür! Und: da geht noch mehr: intensiver, mehr „auf die Zwölf“, mit allem, was Radio ausmacht: O-Tönen, Testimonials, überzeugenden Leistungskennzahlen, Studien etc.

Bescheidene Frage Nummer 2
Warum haben wir Angst vor Podcasts und Streamingdiensten?

Klar, jeder andere Player knabbert am Zeitbudget. Damit müssen wir leben. Während laut MA 23/II aber 74,1 Prozent täglich Radio hören, wird Spotify täglich genutzt von (hier: ZG 30- 49) … 3,4 Prozent. In Worten: Drei komma vier vs. vierundsiebzig komma eins… siehe auch: https://www.radiozentrale.de/studien-trends/infografiken/infografik-ma-audio-facts-2023/

Podcasts haben in Deutschland laut statista.de im Jahr 2023 mit Werbung einen Umsatz von € 42 Millionen erwirtschaftet (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1138941/umfrage/werbeerloese-von-podcasts/). Ein Bruchteil von dem, was Radio umsetzt.

Bescheidene Frage Nummer 3
Warum reden wir uns in Sachen „Junges Publikum“ ohne Not selbst schlecht?

In der Zielgruppe 14-29 hören 65 Prozent – das sind zwei Drittel – jeden Tag Radio und das immerhin 182 Minuten, also etwas über 3 Stunden. Was die Verweildauer betrifft, hat Radio das lineare TV längst überholt. In der werberelevanten Zielgruppe bis 49 Jahre sieht es im Radio im Vergleich zum Fernsehen sogar noch besser aus.

Aus dem Bericht der KEK der Landesmedienanstalten aus dem Jahr 2022:

Seit 2014 ging bei den 30- bis 49-Jährigen fast 1,5 Stunden (82 Minuten) Fernsehnutzungszeit verloren (2014: 218 Minuten/Tag; 2022: 136 Minuten/Tag). In der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen ist diese Entwicklung noch extremer.

Im Jahr 2014 betrug die tägliche TV-Sehdauer 124 Minuten, 2022 waren es nur noch 50 Minuten – ein Rückgang um 60 Prozent in acht Jahren.

Diese Studie ist jetzt zwei Jahre alt. Vermutlich ist der Rückgang fortschreitend… Zur Erinnerung nochmal: Radioverweildauer 30 – 49 Jahre= 238 Minuten/Tag, 14 – 29 Jahre immer noch 182 Minuten/Tag.

Bescheidene Frage Nummer 4
Warum machen wir kein aggressives Gattungsmarketing?

Während in Deutschland nur 4,8% der Werbespendings an Radio gehen, sind es nebenan in Österreich 7,8% (über 60% mehr als in Deutschland). In den USA entfallen sogar 11,7% der Marketingausgaben auf das Medium Radio. Stellt euch vor, wir würden nur so viel erreichen, wie die Kollegen in Österreich. Wir würden alle 60% mehr Umsatz machen…

Ein amerikanischer Kollege postete kürzlich auf Linkedin:
Überraschung: Zum ersten Mal in der Medien-Geschichte hat terrestrisches Radio bei den 18-49 jährigen höhere Einschaltquoten als TV“.
https://www.westwoodone.com/blog/2023/03/13/surprise-am-fm-radio-ratings-overtake-tv-among-persons-18-49-for-the-first-time-in-media-history/

Das nenne ich: gutes Gattungsmarketing.

Bescheidene Frage Nummer 5
Warum nutzen wir nicht die auch die Kehrseiten der anderen Mediengattungen für unsere Argumentation pro Radio?

Da wären z.B. die immens hohen TKPs im TV sowie die hohen Produktionskosten?

Wenn man nach „Kosten für TV-Werbung“ sucht, findet man z.B. auf crossvertise.de eine Antwort:

Für einen ausreichenden Werbedruck ist ein Mindestbudget von 150.000 € (Laufzeit 2 – 3 Wochen) für TV Werbung auf ARD, ZDF, (…), RTL(…) notwendig“.

Eine frühere Recherche von mir ergab: bei den meisten kommerziellen TV-Sendern liegt der TKP bei ca. € 100.- Euro. Beim Radio liegt dieser (oft deutlich) unter € 10.-

Natürlich argumentiert TV mit dem Bewegtbild – das ist ja auch richtig. Die Frage ist, ob dieses Argument für jede Art von Werbekunden den großen Preis-Unterschied auch rechtfertigt?

Der neue BMW kommt natürlich im Bewegtbild besser rüber als in einem Audiospot. Aber braucht jeder Kunde – sagen wir z.B. eine Fachwerkstatt für Autoglas – so viel Bewegtbild wie ein neues PKW-Modell oder das neue schicke iPhone?

Kann Radio für einige Kunden vielleicht mehr als TV?

Ich will das Beispiel eines TV-Spartensenders mit Zielgruppe Frauen nehmen, der wie folgt wirbt:

Im Mai ließen sich mit einem Budget von € 100.000.- auf …111 Spots schalten und voraussichtlich 0,888 Millionen Frauen zwischen 14 und 49 Jahren durchschnittlich 2,1-mal erreichen“.

Wie weit kommt man mit demselben Budget in einer Berlin-, Baden-Württemberg- oder Bayern-Kombi? Ich habe diese Frage an eine Kollegin weitergegeben, die das wissen muss. Christel Tempel ist Marketingleiterin der IR MEDIA (die IR MEDIA verantwortet die regionale Vermarktung der Sender BB RADIO und Radio TEDDY):

„Bescheidenheit ist hier absolut nicht angesagt, da punktet Radio weitaus mehr. Verglichen mit dem Angebot des TV-Senders erreichen wir hier in Berlin-Brandenburg mit unseren Partnern in der Berlin Kombi die Hörerinnen in dieser Zielgruppe − 888.000 Frauen zwischen 14 und 49 Jahren − bereits mit einem Budget von 40.000 Euro und einem TKP von unter 10 Euro. Und sogar mit 4,6 Durchschnittskontakten! Das ist doch überzeugend – und das ist natürlich nicht nur in Berlin-Brandenburg so, auch in allen anderen Bundesländern zeigt sich Radio als höchst leistungsstarkes (Werbe-)Medium“.

Die Produktionskosten sind auch nicht zu vernachlässigen: Ein Video-Spot, der im nationalen Umfeld mithalten kann, kostet ab € 5.000.- aufwärts – und das ist die LowLow-Budget Variante. Ein guter Radiospot ist für ein Zehntel zu haben.

Bescheidene Frage Nummer 6
Warum machen wir keine aktuellen Studien, in denen wir Gattungen vergleichen, den ROI messen, die Stärke von Radio beim Abverkauf betonen?

Vielleicht machen wir ja welche? Dann sind sie aber gut versteckt, ich habe jedenfalls keine aktuelle gefunden…

Die letzte deutsche Studie, die dazu online ist, war von ASS und RMS aus dem Jahr 2014….

Studio Gong immerhin zitiert im Jahr 2021 eine US-Studie (…) zum Thema “ROI beim Radio vs. ROI beim Fernsehen“ mit den Worten: „Das Ergebnis war, dass Radio den dreifachen Umsatzanstieg als das Fernsehen generiert.“ Mehr dazu hier: https://www.studio-gong.de/blog/roi-studie-radio-dreimal-mehr-als-fernsehumsatz/

Radio ist mit einer extrem hohen Verweildauer nach wie vor der Tagesbegleiter Nummer 1, der ROI ist mit Radio-Werbung deutlich höher als mit einer TV Kampagne (siehe oben), Radio hat einen mehr als fairen TKP, die Produktionskosten sind extrem niedrig, durch die lineare Nutzung bleibt Radio das Abverkaufsmedium Nummer 1: 90 Prozent (…) hören Radio beim Autofahren (https://www.presseportal.de/pm/6955/4951431) u.v.m.

Dass aber nicht mal 5 Prozent der Werbespendings in Deutschland ins Radio gehen, dafür sind wir Macher alle selbst verantwortlich. Ich finde: das dürfen wir für die Zukunft nicht einfach so akzeptieren. Wir brauchen mehr „dicke Hose“… denn da ist noch Luft nach oben…

In diesem Sinne:

Haut mal auf die K…e

Eure
Yvonne

Yvonne Malak
Das Moderationshandbuch: Alles, was Radio-Profis wissen müssen
201 Seiten
ISBN 3848782723
39,00 € Nomos

Yvonne Malak ist Radioberaterin und berät eine Vielzahl von Radiostationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Yvonne Malak schreibt monatlich für die radioWOCHE. Die nächste Ausgabe erscheint am 01. August 2024.

Alle bisher veröffentlichten Publikationen von Yvonne Malak finden Sie auch unter www.my-radio.biz/category/publikationen/radiowoche/

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