Austauschbare Sendungen, überflüssige Schleifen und zu wenige Pausen – das waren die Top 3 meiner persönlichen Aircheckhitparade 2016. Und 2017?
In Workshops, Airchecks und Sendungsanalysen durfte ich auch in diesem Jahr wieder eine dreistellige Anzahl von Radiosendungen hören und die Ergebnisse mit den jeweiligen Moderatoren besprechen. Die Quintessenz finden Sie hier in den Top 10 der in Airchecks besprochenen Punkte 2017.
Platz 10
Das Mittagspausen-Feierabend-Freitags-Phänomen
Hört man 20 Tagessendungen in Deutschland, bekommt man in mindestens der Hälfte davon den Eindruck, das Leben der Hörer bestünde bis 13 Uhr nur aus dem Fiebern gen Mittagspause und danach dem Warten auf den Feierabend.
Ab Mittwoch, dem „Bergfest“ freuen sich alle auf Donnerstag, den „kleinen Freitag“ und am Freitag sind wir glücklich, dass „bald Wochenende“ ist und zählen jede Minute bis dahin. Liebe Kollegen: es gibt Menschen, denen die Arbeit Spaß macht! Es gibt Menschen, die auch am Wochenende (gerne) arbeiten! Und das Leben zwischen 9 und 18 Uhr besteht aus mehr als dem Warten auf Pausen, Feierabend und freie Tage.
Wa zeichnet diesen einen besonderen Tag aus? Wie sieht es draußen aus? DAS abzubilden ist die Aufgabe der Moderatoren.
Platz 9
Die fehlende CI des Tages
Was beschäftigt die Menschen in der Stadt/der Region/in Deutschland an diesem bestimmten Tag? Was macht diesen Tag anders als den davor? Was ist die CI des Tages?
Macht eure Shows weniger austauschbar! Anhand eines Airchecks sollte man erkennen an welchem Tag zu welchem Tagesteil (in welcher Region) die Sendung stattgefunden hat. Diese Tages-CI kann man auch in wenigen Worten abbilden (und sie sogar mit der Pflicht – dem Verkaufen des Senders/der Musik/der Promotion etc. verknüpfen).
Das ist nicht ganz einfach und erfordert Vorbereitung, Kreativität und ständiges Arbeiten. Aber es geht. Und DAS ist es, was große Moderatoren auszeichnet. Sie spiegeln den Hörer und dessen Themen in ihren Shows.
Platz 8
Musikbetten, übertriebene SFXe und „Bilder malen“
Musik-Betten- und SFX- Dauereinsatz sowie das übertriebene Malen von Bildern sind total old school. Betten oder SFXe ab und an Stilmittel benutzen: wunderbar.
Nur weil wir in den 80ern und 90ern Musikbetten entdeckt haben, Spaß an SFX’s hatten und irgendwer mal die Geschichte vom „Kino im Kopf“ als „Malen von Bildern“ interpretiert hat, heißt das noch lange nicht, dass wir diese Radio-Mythen 2017 noch (übertrieben) pflegen müssen. Das „Kino im Kopf“ z.B. entsteht bei guten Geschichten von selbst!
Platz 7
Schachtelsätze vs. Sprechen wie im richtigen Leben
‚Texten fürs Moderieren’ und ‚schöne Sätze schreiben’ sind zwei Paar Stiefel. Für die Moderation gilt: lieber drei kurze Sätze als ein Schachtelsatz mit drei Kommata. Heißt: am Ende des Showprep noch mal gegenchecken, ob man diesen Satzbau mit diesen Worten auch im richtigen Leben so gewählt hätte.
Platz 6
Doppelte Verneinungen, negative Formulierungen, „nicht nur-sondern auch“- Konstruktionen
„Der Sender ohne Wiederholungen in der Musik“, „er verliert garantiert kein negatives Wort über sie“, „Frauen gehen nicht nur um des Einkaufens willen gerne shoppen, sondern sie lieben auch das Anfassen der Stoffe…“
Solch paradoxe Konstruktionen kann das Gehirn nicht nur nicht so einfach verarbeiten, es hat auch Schwierigkeiten, den Sinn dahinter schnell zu erfassen… Mit anderen Worten: machen Sie es einfach. Sagen Sie es, wie es ist.
– Verneinungen vermeiden
– Doppelte Verneinungen sind ein absolutes NoGo
‚Nicht nur- sondern auch’- Sätze klingen unnatürlich und sind schwierig zu verstehen.
– Sagen Sie es direkt und formulieren Sie positiv.
Platz 5
Promotions falsch einschätzen
Promotion sind wichtig und haben ihre strategische und/oder taktische Berechtigung. Aber
1. machen wir die Promotions für die NICHT-Mitspieler – das ist in der Regel die 90%-Mehrheit und
2. sind viele Hörer von einer Dauer-Promotion-Berieselung schnell genervt.
Fazit:
Ein Aufruf für eine Promotion braucht keinen einmütigen „Aufgalopp“ und ein Payoff kein ewiges Geplänkel mit dem Gewinner.
Hören Sie mal große Sender weltweit: Promotions finden statt und werden super geteast und verkauft. Aber ohne einen Satz zuviel. Das Spiel „Secret Sound“ dauerte diesen Sommer bei Z 100 in NY 30 Sekunden im Aufruf und 1 Minute im Pay Off. Maximal.
Platz 4
Schleifen-Alarm
Jeder Moderator kennt die „Sieben Sekunden Regel“. Wir haben sieben Sekunden Zeit, den Hörer für das Kommende zu interessieren. Warum drehen dann so viele Moderatoren erst noch ein kleines Schleifchen zum Thema X, wenn sie eigentlich über Thema Y sprechen wollen? Kommt zum Thema, kommt zum Punkt und denkt am besten in Schlagzeilen.
Beispiel: „Hier ist Radio XY um 10 Uhr 17.
Männer und Frauen sind ja sehr unterschiedlich und Sie kennen das vielleicht auch von Zuhause, dass Männer oft verzweifeln, weil sie ihre Frauen als pingelig empfinden. Dazu passt eine aktuelle Studie aus den USA, die sagt, es sei genetisch bedingt, dass Männer Schmutz nicht sehen“.
Die sieben Sekunden waren schon bei „verzweifeln“ vorbei. Also: sag mir bitte DIREKT, wie es ist: „Männer sehen den Schmutz nicht – das ist genetisch bedingt….“ Don’t bring me around the block, if I wanna cross the street.
Platz 3
Musikverkaufen falsch verstehen
Musik verkaufen und Geschichten über Interpreten zu erzählen, hat nicht viel miteinander zu tun. Musik ist emotional. Songs haben eine Anmutung, bewirken etwas beim Hören. Menschen hören Radio, um ein gutes Gefühl zu bekommen. Musik kann das schaffen und wenn man Musik gut verkauft, ist Radiohören besser als Spotify streamen.
Aber Musik verkaufen zu wollen, indem man eine Geschichte über den Sänger von Imagine Dragons erzählt, die Essensvorliebe von Avicii oder die Ex Freundin von Shawn Mendes, wird nicht zum Ziel führen: den Song groß zu machen und Muiskimages aufzubauen. Wie heißt der Sänger von Imagine Dragons überhaupt und wer hat ein Bild von ihm? Der durchschnittliche Radiohörer kennt weder den Namen noch hat er bei der Geschichte ein Bild vor Augen.
Musikverkaufen führt über Infos zum SONG, die Anutung des Songs, die Emotion dazu. Aber nicht über Geschichten über unbekannte Menschen, zu denen die Masse kein Gesicht hat.
Platz 2
Modewortalarm
Ich habe zwar erst vergangenen Monat darüber geschrieben, aber der Vollständigkeit halber und weil es ein überall auftauchendes Phänomen ist, gehört es in diese Hitparade:
Zurzeit kursieren einige Modeworte, die in TV und Radio in nervtötender Dauerfrequenz auftauchen. Mit ganz vorne dabei: das Füllwort „sozusagen“. Und das meistbenutzte Modefüllwort mit extrem hohem Nervfaktor lautet nach wie vor: „tatsächlich“. Prüfen Sie den Einsatz von Füllworten. Die meisten Einsätze von „tatsächlich“ oder „sozusagen“ sind nur eine schlechte Angewohnheit.
Platz 1
Chillt alle mal!
Wie im vergangenen Jahr der häufigste Kritikpunkt in Aircheckbesprechungen: das Moderieren ohne Punkt und Pause. Viele, viele Moderatoren nehmen sich dadurch selbst wichtige Effekte. Sie rasen von Satz zu Satz, geben dem Hörer nicht die Chance, gerade eben Gesagtes zu verstehen. Und sie nehmen sich selbst die Gelegenheit, Hinhörer zu schaffen und gut zu betonen. Erst, wenn man eine Pause macht, kann man das Nachfolgende optimal betonen. Pausen schaffen Aufmerksamkeit!
Nur wer Pausen macht, kann es schaffen, Variation in die Moderation zu bringen. Und das ist es schließlich, was einen großen Moderator ausmacht: Variation in Stimme, Tempo und Ansprechhaltung.
In diesem Sinne:
auf noch besseres Radio in 2018.
Bis dahin erholsame Feiertage und die besten Wünsche für das neue Jahr
Ihre
Yvonne Malak
Yvonne Malak
Erfolgreich Radio machen,
320 Seiten, 25 farb. Abb., Klappenbroschur
ISBN 978-3-86764-553-9
34,99 € UVK Verlag Konstanz
http://www.uvk.de/isbn/9783867645539
Yvonne Malak ist Radioberaterin und berät eine Vielzahl von Radiostationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Yvonne Malak schreibt monatlich für die radioWOCHE. Die nächste Ausgabe erscheint am 02. Januar 2018.
Alle bisher veröffentlichten Publikationen von Yvonne Malak finden Sie auch unter www.my-radio.biz/category/publikationen/radiowoche/