Dem 1976 gegründeten italienischen Non-Profit-Sender Radio Radicale, der landesweit via UKW und DAB+ zu hören ist, droht das Aus. Das werbefreie Radio Radicale, das seit Jahrzehnten eine wichtige und unabhängige Nachrichtenquelle in Italien darstellt, ist auf staatliche Fördermittel angewiesen, die nun von der Regierung rund um die Fünf Sterne-Bewegung massiv reduziert werden sollen. Der Sender finanziert sich primär aus zwei Quellen – der staatlichen Presseförderung für Medien, die zur öffentlichen Meinungsbildung und -vielfalt beitragen, und staatlichen Mitteln, die Radio Radicale für seine Live-Übertragungen aus dem italienischen Parlament erhält. „Diese Publikationen anzugreifen, heißt die Werte der liberalen Demokratie und des Pluralismus anzugreifen“, hat der Schriftsteller Roberto Saviano das Herunterfahren der Presseförderung für unliebsame Zeitungen und Medien im März im „Guardian“ kommentiert und einen „demokratischen Notstand“ in Italien konstatiert.
Radio Radicale ist mit der Radikalen Partei Italiens, einer radikalliberalen Bewegung, die wie die FDP Mitglied der Alliance of Liberals and Democrats for Europe (ALDE) ist, verbunden. Der Sender überträgt seit den 1970er Jahren – im Stile des deutschen TV-Kanals Phoenix – live und ungekürzt die Debatten aus beiden Kammern des italienischen Parlaments. Dazu verband man 1976 zunächst einfach das interne Lautsprechersystem des Parlaments mit einem Mikrofon und schickte die Übertragungen in der Manier eines Piratenradios in den Äther. Nicht ganz legal, aber eine kleine Revolution in einer Zeit, als sich das Parlament und der Politikbetrieb völlig abschirmten und Transparenz im politischen Prozess ein Fremdwort war.
Seit 1994 sendet Radio Radicale ganz offiziell aus den Plenarsälen und überträgt die Debatten seit einigen Jahren zudem parallel im Bewegtbild auf der Sender-Webseite. Auch Live-Übertragungen von zahllosen politischen Events gehören fest zum Programm. Die Hörer sollen auf diesem Weg ein möglichst ungefiltertes Bild vermittelt bekommen. Radio Radicale möchte zudem eine Plattform für politische Debatten bieten, besonders die tägliche Presseschau konnte sich einen Namen machen. Über die Jahrzehnte ist auf diesem Weg ein einzigartiges hunderttausende Aufnahmen umfassendes Tonarchiv italienischer Politikgeschichte zusammengekommen. Für diese Leistungen des linksliberalen Senders kann sich die regierende Fünf Sterne-Bewegung allerdings nur wenig erwärmen.
Deshalb droht bereits am 21. Mai der Sendeschluss, denn dann läuft ein Übereinkommen zwischen dem vom Fünf Sterne-Politiker und stellvertretenden Ministerpräsidenten Luigi Di Maio geführten Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und dem Sender aus, das die Parlamentsübertragungen ermöglicht und finanziert. Die Fünf Sterne-Bewegung argumentiert, dass es mit den 1998 gegründeten RAI-Parlamentskanal bereits ein öffentlich-rechtliches Angebot gebe, welches die Übertragungen bei Radio Radicale mittlerweile überflüssig mache. Viele Italiener sehen das anders, denn nur Radio Radicale ist bei allen Sitzungen und Anhörungen von Beginn bis Ende live dabei.
Die Unterstützer von Radio Radicale versuchen weiterhin das drohende Aus abzuwenden. Journalisten, Politiker aus verschiedenen politischen Lagern – mittlerweile selbst ein Senator aus den Reihen der Fünf Sterne -, Wissenschaftler und Kulturschaffende setzen sich für den Sender ein, auch die italienische Sektion von Amnesty International plädiert für dessen Erhalt. Der Journalist und Politiker Maurizio Bolognetti befindet sich seit 78 Tagen im Hungerstreik, um für die Rettung des Senders zu demonstrieren. Auch weitere Mitstreiter sind seinem Beispiel gefolgt. Abgeordnete der Demokratischen Partei hielten im Senat Schilder mit der Aufschrift „Salvate Radio Radicale“ hoch. Der Senator Andrea Marcucci erklärte auf Facebook: „Radio Radicale zu retten bedeutet die Freiheit von jedem von uns zu retten. Haltet einen Moment inne und denkt darüber nach. Denkt daran, wie oft ihr eine Sendung von Radio Radicale gehört habt und der Reporter berichtete live von einer Veranstaltung aus einem fast vergessenen Ort in Italien. Radio Radicale erfüllt einen öffentlichen Auftrag. Radio Radicale war und ist überall vor Ort.“ Eine Online-Petition auf der Plattform Change.org, die zur Rettung des Senders aufruft, kann aktuell 106.000 Unterschriften verzeichnen.
Ebenfalls noch in der Diskussion steht der Vorschlag, dass Radio Radicale unter das Dach der öffentlich-rechtlichen RAI wandern oder mit deren Parlamentsradio Gr Parlamento zusammengehen könnte. Doch bis dahin gibt es noch einige Probleme zu lösen, nicht alle Sendungen von Radio Radicale werden vom Programmauftrag der RAI für ihren Parlamentskanal abgedeckt. Und der Gedanke, dass der Sender von der RAI fortgeführt oder unterstützt werden könnte, behagt auch nicht jedem, denn Radio Radicale war einst gerade als unabhängiges Medium konzipiert worden – unabhängig vom Markt und unabhängig von der RAI.
Auch die beiden Regierungsparteien sind sich in der Causa mittlerweile uneins. Da die Zeit für eine Lösung knapp zu werden droht, schert nun ausgerechnet der Koalitionspartner der Fünf Sterne, die rechtspopulistische Lega Nord um Matteo Salvini, aus. Diese brachte nämlich in dieser Woche einen Ergänzungsantrag ein, der die Vereinbarung mit Radio Radicale um sechs Monate verlängern würde.