Polen: Neue Strategie für den digitalen Hörfunk und DVB-T2

Seit 25 Jahren werden die kommerziellen Medien in Polen durch den Landesrat für Rundfunk und Fernsehen (KRRiT) reguliert. Im März 2018 veröffentlichte die Behörde ihre neue „Regulatorische Strategie“ für die Jahre 2017 bis 2022. Die letzten beiden Strategie-Pläne umfassten den Zeitraum von nur drei Jahren. Im Dokument werden auch Pläne zur Digitalisierung des Hörfunks vorgestellt und zwei mögliche Varianten der Umstellung des terrestrischen Fernsehens DVB-T auf einen neueren technischen Standard erläutert.

Der Hörfunk
In Polen werden auf UKW vier öffentlich-rechtliche und drei lizenzierte Hörfunkprogramme landesweit ausgestrahlt. Radio Zet und RMF FM erhielten eine kommerzielle Zulassung, das landesweite katholische Radio Maryja wird als nichtkommerzieller Hörfunksender geführt. Die Hörfunklandschaft ergänzen zahlreiche lokale, regionale und überregionale Hörfunkprogramme.

Das öffentlich-rechtliche Polskie Radio wurde nur unzureichend mit Frequenzen bedacht. Die Klassikwelle „Dwójka“ („das Zweite“) kann nur von sieben von zehn potentiellen Hörern empfangen werden, die Nachrichtenwelle PR24 nur von zwei von fünf Landesbewohnern. Mit der Einführung von DAB+ verbesserte sich die technische Reichweite von Polskie Radio. Eine hohe Nachfrage nach DAB+-Empfängern blieb bis dato in Polen aber aus. In polnischen Großstädten sind doppelt bis dreifach so viele Programme auf UKW zu empfangen, wie über DAB+ verbreitet werden. Die KRRiT treibt die Digitalisierung des Hörfunks nun trotzdem voran, eine Ausschreibung soll bald folgen.

Polen erhielt auf der Genfer Wellenkonferenz 2006 (GE06) Frequenzen um drei DAB+-Multiplexe flächendeckend im ganzen Land auszustrahlen. Eine landesweite Bedeckung (MUX 1) wurde an Polskie Radio vergeben. Die DAB+-Ausstrahlung begann im Oktober 2013 in Warschau und Krakau. Bis April 2015 wurde das DAB+-Sendernetz auf die 17 Großstädte ausgeweitet, in denen jeweils ein Regionalprogramm von Polskie Radio seinen Sitz hat. Danach fror die regierende Recht und Gerechtigkeit (PiS)-Regierung den Ausbau des digitalen Hörfunks DAB+ aus finanziellen Gründen ein.

Nach der Veröffentlichung eines neuen Frequenznutzungsplans durch die Netzagentur UKE (geplant für das 1. Quartal 2018) will die KRRiT Gespräche mit den lokalen Hörfunkanbietern führen und neue Ausschreibungen veröffentlichen. Um den Belangen der Lokalfunker gerecht zu werden, wurden die DAB+-Versorgungsgebiete neu zugeschnitten. Die polnische Netzagentur UKE verwendete dafür Frequenzen aus dem Genfer-Frequenzplan GE06 und koordinierte neue Stadtfrequenzen, um allen bestehenden Anbietern einen Wechsel in einen Multiplex zu ermöglichen. Lokale- und nichtkommerzielle Sender werden sich auf einem Platz im Multiplex 3 (MUX 3) bewerben können. Auch neue Programme sollte eine Chance erhalten.

Ein dritter Multiplex (MUX 2) bleibt als Reserve für die landesweiten kommerziellen und regionalen Radiostationen vorerst ungenutzt. Die KRRiT geht in ihrem Strategiepapier davon aus, dass in dem landesweiten Multiplex 12 Programme Platz finden. Drei Plätze werden freigehalten für die landesweiten Programme RMF FM, Radio Zet und Radio Maryja. Weitere Plätze stehen für folgende Programme zur Verfügung:
•    9 subregionale Hörfunkprogramme oder
•    5 subregionale Hörfunkprogramme, die ihre technische Reichweite auf das ganze Land ausweiten wollen und 4 neue digitale Hörfunkprogramme, die von den vier größten Radiogruppen produziert werden könnten.
•    auch eine andere Verteilung zwischen den subregionalen und neuen Programmen ist möglich

Die Anbieter können frei wählen, ob sie ihre Reichweite von subregional auf landesweit erhöhen wollen oder in einem lokalen Multiplex verbreitet werden wollen.

Es gibt die ersten Initiativen, die einen lokalen Multiplex in Bielsko-Biała starten wollen. In Rzeszów und Kleinpolen (der Region um Krakau) werden entsprechende Multiplexe bereits getestet. Neue und bestehende Programmanbieter sollen sich um einen Platz in den lokalen Multiplexen bewerben können. Ebenso die öffentlich-rechtlichen Regionalsender von Polskie Radio. Das zusätzliche Angebot soll die Attraktivität von DAB+ steigern und die Meinungsvielfalt in den lokalen Märkten stärken, argumentiert der Rundfunkrat. Die KRRiT wird Informationsveranstaltungen für Lokalfunkveranstalter durchführen und das Konzept der Small Scall Multiplexe vorstellen.

In ihren Strategieplan kritisiert die KRRiT das Fehlen einer nationalen Strategie zu Digitalisierung des Hörfunks in Polen. In Zukunft will der Rundfunkrat seine Gremienarbeit verstärken und auf die Entwicklung einer landesweiten Strategie zur Digitalisierung des Hörfunks im Rahmen seiner gesetzlichen Möglichkeiten hinwirken. Gleichzeitig ist beabsichtigt Polskie Radio und alle öffentlich-rechtlichen Regionalsender bei der Erarbeitung und Durchführung einer Digitalisierungsstrategie zu begleiten, heißt es in dem Papier. Auch nichtkommerzielle Sender sollen ihren Weg in die digitale Welt finden.

Mit einer breitangelegten Kampagne soll die Öffentlichkeit über DAB+ informiert werden. Die KRRiT will mit der polnischen Netzagentur UKE bei der Auswahl der Multiplex-Betreiber und der Programme zusammenarbeiten. Die in Polen verkauften DAB+-Empfänger müssen bestimmten Anforderungen genügen,  z.B. die polnischen Umlaute richtig darstellen.

Das Fernsehen
Im Mai 2016 begann in Deutschland der Umstieg von dem digitalen Fernsehstandard DVB-T auf den neueren Standard DVB-T2 HEVC. Schritt für Schritt werden alle Sendeanlagen umgerüstet. Die Zuschauer mussten in eine neue Empfangsbox oder ein neues Fernsehgerät investieren. Die Europäische Union hat eine Verordnung herausgegeben, nach der ihre Mitgliedsländer einen Teil des UHF-Frequenzbandes künftig für Mobilfunk nutzen sollen, statt wie bisher für die Verbreitung von Fernsehsignalen. Die Frequenzen zw. 700 MHz und 800 MHz sollen bis zum 30. Juni 2020 umgewidmet werden. In Ausnahmefällen darf sich dieser Prozess bis zum Jahr 2022 hinziehen. In Polen hat dieser Prozess noch nicht begonnen.

DVB-T2: Erneuter Umstieg nach kurzer Zeit

Im Jahr 2009 wurden in Polen die ersten DVB-T-Sender in Betrieb genommen, Im Juli 2013 die letzten analogen Sendeanlagen abgeschaltet. Für alle die bis zum letzten Augenblick gewartet haben, kommt die aktuelle Nachricht aus Warschau, dass ein erneuter Umstieg ansteht, nach nur fünf Jahren. Die Zuschauer werden womöglich schon bald in neue Empfangstechnik investieren müssen, sonst bleibt ihre Mattscheibe dunkel.

In Polen werden flächendeckend vier DVB-T-Multiplexe ausgestrahlt. In sieben Regionen gibt es auch Lokalfernsehen über DVB-T, angereichert mit einigen Satellitenprogrammen. Ein mobil empfangbarer Multiplex wurde von dem Plattformbetreiber Polsat in vielen Städten aufgebaut. Eigentlich sollte dieser Multiplex landesweit ausgestrahlt werden, es blieb bei der Versorgung von Großstädten und ihrem Umfeld.

Bis zu sechs DVB-T2-Multiplexe können in Polen flächendeckend aufgebaut werden. Die Programme sollen nicht mehr in der einfachen SD-Qualität, sondern in der bessern HQ-Qualität bei den Zuschauern ankommen. Für den Umstieg auf DVB-T2 gibt es zwei Szenarien:

1.) DVB-T wird bis zu einem Stichtag genutzt. Das Programmangebot bleibt unverändert. Schrittweise werden die Multiplexe von DVB-T auf DVB-T2 umgerüstet werden. Die Termine werden frühzeitig festgelegt und bekanntgegeben. Erst danach erfolgt der Aufbau von zwei weiteren Multiplexen. Für die existierenden Anbieter würden keine zusätzlichen Kosten für den Parallelbetrieb in einem DVB-T- und einem DVB-T2-Multiplexen entstehen. Neue Anbieter würden ihre Programme in zwei neuen Multiplexen erst dann starten, wenn die Haushalte mit neuen Empfängern ausstattet wären.

2.) Ein einziger DVB-T2-Multiplex wird mit Programmen in HD-Qualität in Betrieb genommen. Die Zuschauer können sich frühzeitig auf das neue Angebot einstellen und ihre Geräte nachrüsten. Bis zum 30. Juni 2020 (oder 2022) erfolgt schrittweise die Umstellung der vorhandenen DVB-T-Multiplexe auf Kanäle unterhalb von 700 MHz ohne auf DVB-T2 umsteigen zu müssen. An einem festgelegten Termin in der fernen Zukunft würde die Umstellung des Standards von DVB-T auf DVB-T2 für alle Multiplexe erfolgen. Gleichzeitig würden die Kanäle so angepasst werden, dass der Betrieb eines sechsten Multiplexes möglich wäre.

Diese Variante ist für die Programmanbieter des ersten DVB-T2-Multiplexes riskant, weil sie ihren Programmbetrieb aufnehmen müssten, ohne dass Empfänger in den Haushalten vorhanden wären. Sie würden am stärksten die Umstellungskosten tragen und könnten die Investition auf dem Werbemarkt nicht refinanzieren. Ob es Programmveranstaltern gibt, die in Vorleistung gehen wollen, wird in anstehenden Gesprächen geklärt werden.

Unverändert heikel ist indes die Situation der Programmanbieter, die im Jahr 2016 in den DVB-T-Multiplex 8 Einzug hielten. Vier kommerzielle Programme bewarben sich erfolgreich um den Platz. Die Hälfte des Multiplexes sollte vom öffentlich-rechtlichen TVP genutzt werden die andere Hälfte von den kommerziellen Anbietern. TVP zögerte und stellte keine Programme zur Verfügung und unterschrieb auch keinen Vertrag mit dem Netzbetreiber Emitel. Emitel klagte, weil der Platz im Multiplex von der KRRiT für TVP reserviert gehalten wurde, aber ungenutzt blieb.

Alle anderen Multiplexe werden im Ultra-High-Frequency-Band (UHF) ausgestrahlt, der MUX-8 im Very-High-Frequency-Band (VHF). Die Zuschauer müssten eine gesonderte Antenne für diesen Multiplex installieren. Viele Zuschauer scheuten die Investition für gerade mal vier neue kommerzielle Fernsehprogramme. TVP sollte der Garant für den Erfolg dieses Multiplexes werden. Ohne TVP stellt sich heraus, dass die Nutzung des VHF III-Bandes für DVB-T für die kommerziellen Anbieter und den Netzbetreiber zu einem Fiasko wurde. Die Programmveranstalter erreichen kaum Zuschauer, müssen aber für den Betrieb zahlen und der Netzbetreiber ist mit Gerichtsprozessen beschäftigt.

Jetzt möchte die KRRiT die freien Programmplätze ausschreiben. Ob weitere drei neue Fernsehprogramme die Zuschauer zu einer Investition in eine neue Antenne bewegen werden, darf allerdings bezweifelt werden. Die KRRiT will es dennoch versuchen. In einer öffentlichen Konsultation sprachen sie die betroffenen Programmanbieter für einen Wechsel ihrer Programme in einen Multiplex in dem populäreren UHF-Frequenzbereich aus.

Das Gebührendebakel
Fast die Hälfte (49,3 Prozent) der 13,6 Millionen polnischen Haushalte zahlt keine Rundfunkgebühr, obwohl 13,2 Millionen einen Fernsehempfänger besitzen. Von allen, die ihren Fernsehempfänger angemeldet haben, sind mehr als die Hälfte (52,2 Prozent) von der Zahlung aufgrund der gesetzlichen Ausnahmeregelungen befreit. 45 Prozent dieser Befreiungen ist auf eine Sonderregelung für Senioren zurückzuführen, denn wer bereits das 75. Lebensjahr erreicht hat, muss keine Rundfunkgebühr zahlen. 22 Prozent sind aufgrund einer Behinderung befreit und 20 Prozent weisen nach dem Erreichen des 60. Lebensjahrs einen zu geringen Verdienst auf. Die verbleibenden 13 Prozent sind befreit, da sie soziale Leistungen- arbeitlos sind, sich im Vorruhestand befinden oder weil sie Pflegegeld erhalten. Die KRRiT sucht nach Lösungen, um die Zahlungsmoral zu verbessern. Reformvorschläge gibt es viele – eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland oder die Verrechnung mit der Stromrechnung, wie es ebenfalls in manchen europäischen Ländern praktiziert wird. Vorschläge gibt es also zuhauf, nur Polens Politiker drücken sich vor der unpopulären Entscheidung, weil sie um die Stimmen ihrer Wähler fürchten.

http://www.krrit.gov.pl/Data/Files/_public/Portals/0/publikacje/strategie/strategia_27_03.pdf

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