Goldmedia-Studie zur Zukunft des Hörfunks: Medienanstalt NRW-Chef Dr. Tobias Schmid im Interview

Es zweifelt niemand daran, dass die Zukunft des Hörfunks in Deutschland digital ist. Darüber in welcher Form in Zukunft der Hörfunk stattfinden wird, streiten sich die Gelehrten. Im Februar 2018 beauftragte die Landesanstalt für Medien NRW die Goldmedia GmbH mit der Erstellung eines Gutachtens. Gestern stellte Prof. Dr. Klaus Goldhammer die Studie „Zukunft des Hörfunks in Nordrhein-Westfalen 2028“ in Düsseldorf vor. Das Interesse an der Veranstaltung war so groß, dass die Landesanstalt die Konferenz in einen zweiten Konferenzraum streamen musste und schon einen Tag zuvor keine Anmeldungen mehr annahm.

Die Mitarbeiter von Goldmedia führten für ihr Gutachten Experteninterviews durch, erstellten anhand von aktuellen Daten zur Endgerätemarkt- und Werbemarkt-Entwicklung Prognosen und Hochrechnungen. Untersucht wurden vier Szenarien:

1. Status Quo:
Alles bleibt unverändert. Es findet keine digitale Innovation statt, das Zwei-Säulen-System bleibt in NRW unverändert erhalten. Langfristig nimmt die UKW-Nutzung langsam ab, es findet ein Wechsel zu den Szenarien 2/3/4 statt.

2. DAB+-Transformation:
DAB+ wächst, Streaming bleibt auf gleichem Nivea unverändert. Die Medienanstalt NRW schreibt DAB+-Kapazitäten aus, die UKW-Sender nehmen DAB+-Strategie auf, Streaming bleibt komplementär.

3. Streaming-Transformation:
Streaming wächst, DAB+ bleibt auf gleichem Nivea unverändert. UKW und DAB+ verlieren an Bedeutung. Die Hörfunknutzung findet über den Mobilfunk statt. Radio bleibt für lokale Inhalte relevant, doch der Werbemarkt schrumpft.

4. Radio Digital:
Streaming und DAB+ wachsen. Die Medienanstalt NRW schreibt DAB+-Kapazitäten aus, zusätzliche Player kommen in den Markt. Junge Hörer nutzen auch Mobilfunk zum Hörfunkempfang. Die Nachfrage nach Hörfunkwerbung steigt kaum.

„Wir hatten in NRW einen selbstbezogenen Markt, das wird so nicht bleiben“
Bei allen vorgestellten Szenarien war UKW der größte Verlierer. Je nachdem, welches Szenario angenommen wurde, steigt auf jeden Fall der Marktanteil bei DAB+ oder Streaming oder bei beiden. Goldmedia prognostiziert, dass ab dem Jahr 2022 die Gesamterträge aus Werbung auf dem UKW-Markt zurückgehen werden. Grund für den Ertragsrückgang bei UKW ist die Abwanderung der Hörer zu DAB+ oder ins Internet. Mit der Einführung der nächsten Mobilfunkgeneration 5G verbinden die Macher der Studie große Umwälzungen auf dem Hörfunkmarkt. Für den Direktor der Landesanstalt für Medien NRW Dr. Tobias Schmid sind nur die Szenarien 2 und 4 relevant. „Allein auf UKW zu setzen, ist eine endliche Geschichte“, warnte Schmid. „Wir hatten in NRW einen selbstbezogenen Markt, das wird so nicht bleiben“. Er appellierte, die Medienanstalt NRW könne nur denen helfen, die sich helfen lassen. Eine Priorität für einen Verbreitungsweg hat die Medienanstalt NRW indes nicht. Die Frage nach Subventionen aus dem Haushalt der Landesanstalt beantwortete Schmid mit dem Zitat: „Bei uns keine Arme, keine Kekse – keine Mittel, keine Subventionen.“ Schmid schloss eine stufenweise Einführung von DAB+ nicht aus, das Ziel lautet trotzdem eine möglichst hohe Versorgungsdichte im ganzen Bundesland.

Schon am 1. Oktober wird auf der Homepage der Medienanstalt NRW eine Befragung freigeschaltet. Einen Monat lang können bei dem Call for Interest potentielle Interessenten der Medienanstalt mitteilen, für welche Reichweite (lokal – regional – landesweit) sie sich interessieren. Daraus wird die Anstalt eine „Lösung basteln“, die alle Interessen berücksichtigt. Daraufhin wird die Medienkommission der Medienanstalt NRW gebeten die Frequenzen bei der Staatskanzlei anzufordern. Erhält die Medienanstalt NRW die angeforderten Ressourcen, werden die Multiplexe ausgeschrieben.

Mit dem Direktor der Landesanstalt für Medien Dr. Tobias Schmid sprach nach der Konferenz Marek Schirmer über das anstehende Verfahren:

radioWOCHE: Am 25. September hat Prof. Dr. Goldhammer eine Studie zur Entwicklung des Hörfunks in NRW vorgestellt. Früher haben die Menschen Schallplatten, CDs oder Radio gehört, heute sind die Medien im Wandel. Welche neuen Erkenntnisse bringt die Studie für Sie als Direktor der Landesanstalt für Medien NRW?
Dr. Tobias Schmid: Die Studie bringt zunächst mal eine Erkenntnis, nämlich, dass die Reichweite des bisher klassischen Radioverbreitungsweges UKW über die nächsten 5 bzw. 10 Jahre drastisch abnimmt. Anstelle dessen nimmt die Reichweite von Streaming einerseits, aber auch von digitalen Radioverbreitungsweg DAB+, zu.

radioWOCHE: Das ist aber nicht die erste Studie, die die Landesanstalt für Medien NRW der Goldmedia in Auftrag gegeben hat. Sind die Erkenntnisse aus anderen Studien schon mal untersucht worden, ob die so eingetreten sind?
Dr. Tobias Schmid: Das ist eine schöne Frage. Wie das immer so bei Prognosen ist, die sind vor allem dann schwierig, wenn sie sich mit der Zukunft befassen und das ist hier sicher auch der Fall. Aber ja, die Studien – jedenfalls ein Teil der Studien – ist eingetreten.

Die Landesanstalt für Medien NRW hat vor drei Jahren z.B. gesagt – zum damaligen Zeitpunkt gibt es keinen Bedarf für DAB in Nordrhein-Westfalen und das war damals auch richtig. Seitdem haben sich eben ein paar Faktoren geändert, vor allen Dingen das Vordringen der digitalen Verbreitungswege. Aber auch die bundesweite Entwicklung, die man natürlich nicht ganz von NRW abkoppeln kann.

radioWOCHE: Jetzt ruft dieMedienanstalt NRW ein Call for Interest aus, ab 1. Oktober dürfen sich alle Anbieter, die in Nordrhein-Westfalen senden wollen erstmal bewerben oder zumindest bekannt geben, dass sie Interesse haben. Wie sieht dieses Verfahren aus?
Dr. Tobias Schmid: Das Verfahren sieht so aus, dass wir eine Art Fragebogen ins Netz stellen und dort abfragen, wer sich für die Nutzung von DAB+ interessiert und zwar zunächst mal unabhängig von der Frage, ob er das flächendeckend, regional, lokal, als Plattformbetreiber oder als Sender machen möchte. Das dauert einen Monat. Die Ergebnisse dieser Befragung werden wir dann untersuchen und schauen, ob tatsächlichtatsächlich ein Bedarf besteht – so wie wir das im Moment annehmen – und dann werden wir den Bedarf so zusammenfassen, dass wir daraus eine ordnungsgemäße Bedarfsanmeldung formulieren können. Die wird dann über die Medienkommission an die Staatskanzlei und von dort an die Bundesnetzagentur gehen, damit wir auch die technischen Kapazitäten für das bekommen, was wir gerne machen würden. ´

radioWOCHE: Und der umgekehrte Weg ist von der Bundesnetzagentur zurück an die Staatskanzlei und dann an die Landesanstalt für Medien NRW. Wann ist dann damit zu rechnen, dass ein neues Hörfunkprogramm auf DAB+ in Nordrhein-Westfalen zu empfangen ist, dass die Landesanstalt für Medien NRW lizenziert hat?
Dr. Tobias Schmid: Das ist eine eben so gute wie gemeine Frage, die ich Ihnen nicht seriös beantworten kann. Was wir wissen ist, dass dieser Call for Interest einen Monat dauern wird. Wir werden uns dann sortieren und ich gehe davon aus, dass wir im Verlauf des Restjahres die Bedarfssituation so analysiert bekommen, dass wir ein Verfahren einleiten können. Insbesondere die Verfahrensschritte zwischen der Staatskanzlei und Bundesnetzagentur hängen auch davon ab, wie komplex das Szenario ist, das wir brauchen. Je komplizierter, desto länger muss man sehen, was an Frequenzen zur Verfügung steht. Das ist auch noch eine rechnerische Leistung – das dauert. Anschließend kommt das Ausschreibungsverfahren. Es wird noch ein bisschen Zeit ins Land gehen, ein bissen Wasser noch den Rhein runterfließen.

radioWOCHE: Sie haben das Szenario schon angesprochen, sie lassen alles offen. Das können Lokalprogramme sein, die auf DAB+ gehen, Regionalprogramme oder sogar ein landesweiter Multiplex. Gibt es bereits Interessenten, die in einem solchen Multiplex senden wollen und kennt man diese?
Dr. Tobias Schmid: Ja.

radioWOCHE: Einige davon sind lizenziert?
Dr. Tobias Schmid: Es gibt solche und solche.

radioWOCHE: Und sie dürfen keinen nennen?
Dr. Tobias Schmid: Richtig.

radioWOCHE: Für welchen Multiplex gibt es mehr Interessenten? Für landesweite, regionale oder lokale?
Dr. Tobias Schmid: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage und zwar nicht, weil ich nicht gut zählen kann, sondern, weil vor allem die Frage nach den lokalen Bedarfen aus dem Lokalfunk NRW kommen muss und der Lokalfunk in Nordrhein-Westfalen ist – glaube ich – aktuell noch dabei sich zu sortieren, was für ihn Sinn macht und wofür er sich interessiert. Wenn er sich dafür in seiner Mehrheit interessiert, haben wir sehr viel Bedarf. Sollten er das nicht tun, haben wir sehr wenig Bedarf.

radioWOCHE: Nun gibt es aber noch den WDR, der seine Programme auch über DAB+ regionalisieren möchte. Jetzt sagt die Staatskanzlei, der WDR bekommt die Frequenz – den Multiplex – für seine Regionalberichterstattung nicht alleine. Sind das Frequenzen, die in Zukunft auch zur Verfügung stehen?
Dr. Tobias Schmid: Das ist eine schwierige Frage. Das hängt ein bisschen davon ab, was der WDR tatsächlich vorhat und das wird ein bisschen davon abhängen, wofür wir einen Bedarf haben. Es gibt theoretisch eine Aufteilung zwischen einem kommerziellen und dem öffentlich-rechtlichen Teil, aber der richtet sich danach wofür es tatsächlichen Bedarf gibt. Also nur Frequenzen vorzuhalten, um sie vorzuhalten, ist sinnlos. Insofern werden wir auch dafür diese Bedarfsabfrage abwarten müssen und dann müssen wir schauen, was der WDR macht.

radioWOCHE: Wenn Tobias Schmid Radio hört, schaltet er DAB+, Internetradio, UKW oder Alexa ein?
Dr. Tobias Schmid: Das ist sehr unterschiedlich, ich bin sehr viel unterwegs, deswegen nutze ich tatsächlich viel Streaming. Ich habe im Auto ein DAB+- und UKW-Empfänger und das hängt immer auch ein wenig davon ab, wonach mir gerade ist.

Das Interview mit Tobias Schmid zum Nachhören:

 

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