„Bei Podcasts darf ich Raum und Zeit selbst verwalten“ – ein Gespräch mit den Machern hinter „Dunkle Heimat: Nitribitt“

Die gerade angelaufene zweite Staffel von Antenne Bayerns Podcast-Serie „Dunkle Heimat“ beschäftigt sich mit einem berühmten Kriminalfall aus den Wirtschaftswunderjahren – dem unaufgeklärt gebliebenen Mord an der Frankfurter Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt. Aus diesem Anlass haben wir mit dem Autor, Moderator und Schriftsteller Berni Mayer, der „Dunkle Heimat – Nitribitt“ entwickelt und umgesetzt hat, und Ruben Schulze-Fröhlich, dem zuständigen Projektleiter bei Antenne Bayerns Podcast-Netzwerk lautgut, über die neue Staffel und die Besonderheiten von Podcasts gesprochen.

radioWOCHE: Worauf gilt es besonders zu achten, wenn ich ein Thema im Rahmen eines Podcasts umsetze?
Mayer: „Die persönlichere Ansprache. Das personalisierte Erlebnis, mit dem Moderator auf diese Reise zu gehen. Eine physische Reise – wie unsere nach Frankfurt und Wiesbaden -, aber auch eine Erkenntnisreise und sogar eine psychologische, denn am Ende so eines Projekts denkt und fühlt man anders als zu Beginn. Und das wird ganz automatisch in einem Podcast festgehalten. Man fühlt und hört, wie es das Team und den Moderator verändert hat, ein halbes Jahr zu recherchieren und sich in den Fall zu knien.“

Schulze-Fröhlich: „Podcasts haben Zeit. Ich kann das Thema frei umsetzen, ohne Rücksicht auf Sendepläne und Zeichenbegrenzungen. Emotionen lassen sich sehr gut in Audio umsetzen, der Hörer hat das Gefühl, er ist ganz nah an den Protagonisten dran, er ist quasi Teil der Gruppe.“

radioWOCHE: Wie sind sie auf das Thema aufmerksam geworden?

Ruben Schulze-Fröhlich, Bild: ANTENNE BAYERN

Schulze-Fröhlich: „Auf der Suche nach den größten Kriminalfällen stößt man zwangsläufig auf Rosemarie. Die Geschichte hat uns sofort fasziniert, auch weil sie sehr unterschiedlich zu dem Thema der ersten Staffel (in der es um einen Mehrfachmord auf dem oberbayerischen Einödhof Hinterkaifeck ging, Anm. d. Red.) – ist: urban versus ländlich, 1922 versus 1956.“

Mayer: „Die Causa Nitribitt ist in all ihrer Vielschichtigkeit eine sehr moderne. Die Motive sind feministisch, kapitalistisch, sozial und psychologisch gesehen alle noch aktuell. Man kann dem Deutschland der 1950er Jahre und dem jetzigen erstaunlicherweise noch dieselben unbequemen Fragen stellen.“

radioWOCHE: Wie haben sich die Recherchen gestaltet – wie sind Sie dabei vorgegangen?
Mayer: „Ich persönlich habe zunächst einen Haufen Bücher und Artikel zu dem Fall gelesen. Wie schon bei Staffel eins hat sich ein ausuferndes Dokument mit Notizen, Zitaten und Fragen angesammelt, mit dem ich zu diversen Fachleuten und Experten gegangen bin, die zum Teil auch im Podcast vorkommen. Dann gab es natürlich unsere Recherchereise nach Frankfurt an die Originalschauplätze und unsere Nachforschungen im Hessischen Staatsarchiv, die uns den Fall so nahe wie nur möglich gebracht haben. Wir hatten mit Herrn Dr. Zilien einen fantastischen Archivar, dem ich an dieser Stelle auch nochmal Danke sagen möchte. Insgesamt haben die Recherchen vier bis sechs Monate gedauert, bis wir überhaupt über Struktur und Drehbücher nachgedacht haben.“

radioWOCHE: Was ist das Faszinierende am Fall Nitribitt – auch noch nach Jahrzehnten? Was kann uns dieser Fall über die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft erzählen?
Mayer: „Das ist auch Thema des Podcasts. Da würde ich jetzt arg vorgreifen. Ein Aspekt: die Geschichte der Nitribitt ist auch die Geschichte einer männlichen Elite aus Politik, Wirtschaft und Bürokratie, die Frauen, Kinder und Jugendliche unterdrückt.“

Berni Mayer, Bild: ANTENNE BAYERN

radioWOCHE: Was zeichnet ganz generell Podcasts aus?
Mayer: „Ich spreche jetzt mal nur von unserem. Die Podcastwelt en gros ist mir zu divers, um mir da eine Verallgemeinerung anzumaßen. Was ich bei uns mag bzw. wo ich die Stärken sehe: Die persönliche Ansprache, die lose Formatierung bis hin zur regellosen Anarchie, innerhalb dieser Anarchie eigene Regeln zu installieren, Raum und Zeit selbst verwalten zu dürfen, abschweifen zu können, sich den Dingen aus persönlichem Interesse zu nähern, nicht reißerisch sein zu müssen, wohlwollend bleiben zu können, Soul zu haben.“

radioWOCHE: Wie erklärt sich die ungebrochene Faszination, die True Crime-Geschichten auf die Hörerinnen und Hörer ausüben?
Schulze-Fröhlich: „True Crime Geschichten sind ein interessanter Dualismus: Sie stoßen mich ab, faszinieren aber gleichzeitig auch. Man gruselt sich, will aber trotzdem wissen, wer der Täter war. Dieser Hunger nach der Lösung, nach dem nächsten Detail, treibt Macher und Hörer gleichermaßen an. Immer mit der leisen Hoffnung im Hinterkopf, vielleicht, ja vielleicht mit etwas Glück, fällt mir der entscheidende Hinweis auf und ich finde den Täter!“

Bisher sind die drei Episoden von „Dunkle Heimat – Nitribitt“ erschienen, weitere folgen im Wochenrhythmus, immer donnerstags.

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