Neue Ansätze: BR und WDR machen Geschichte via WhatsApp und AR-App erlebbar

  • Samstag, 23. Februar 2019
  • mit Pressematerial von WDR und BR

Um Geschichte hautnah erlebbar und erfahrbar zu machen, haben WDR und BR jeweils spannende Projekte entwickelt. Mit Hilfe von Augmented Reality (AR), einem VR-Truck und Nachrichten über Messengerdienste wie WhatsApp werden neue Wege in der Vermittlung von Geschichte beschritten.

Die Revolution in Bayern von 1918/1919 in Echtzeit miterleben 

2018 ist es 100 Jahre her, dass in Bayern die Republik ausgerufen wurde. Der BR hat deshalb im Oktober 2018 ein großes digitales Storytelling-Projekt gestartet. Die Nutzer, die bei „Ich, Eisner!“ mitgemacht haben, haben sich in den vergangenen Monaten auf eine Zeitreise in die Revolutionsmonate 1918/19 begeben. Der Weltkrieg ist verloren, die jahrhundertealte Monarchie hat ausgedient und die Macht liegt quasi auf der Straße. Wie soll es weiter gehen, in Deutschland und Bayern? Demokratie, Sozialismus, eine Rückkehr der Monarchie oder doch ein rechtsgerichtetes Regime? Der jüdische Intellektuelle, Journalist und Politiker Kurt Eisner wird in diesem Wochen zum Anführer der friedlichen Revolution, die München erfasst. Im Kontext der Novemberrevolution, die zeitgleich in ganz Deutschland Fuß fasst, rief Eisner in der Nacht zum 8. November 1918 schließlich den Freistaat Bayern aus und wurde dessen erster Ministerpräsident. Es folgten Monate voller Aufbruchsstimmung und neuer Ideen, aber auch stetig schwindenden Rückhalts. Die Revolutionäre zerstritten sich, die alten Institutionen beanspruchten die verloren gegangene Macht zurück. Vielen Menschen gingen die Veränderungen auch zu schnell, manchen waren sie zu radikal, anderen zu wenig radikal. Nach nur 100 Tagen im Amt wurde Kurt Eisner am 21. Februar 1919 bei einem Attentat durch den jungen adeligen Nationalisten Anton Graf von Arco auf Valley getötet. An Eisners Beisetzung am 26. Februar 1919 nahmen rund 100.000 Menschen teil, ein beispielloses Ereignis in der damaligen Zeit.

15.000 Nutzer – nicht nur aus Bayern – konnten seit Oktober 2018 für das digitale Echtzeit-Projekt „Ich, Eisner!“ gewonnen werden. Sie erhalten noch bis Ende Februar regelmäßig via WhatsApp oder Telegram Texte, historische Bilder, Videos und Sprachnachrichten. Der Absender, der sich in der Ich-Form an die Leserinnen und Leser richtet, ist ein fiktiver Kurt Eisner. Dieser kommentiert und reflektiert in seinen Einträgen seine damalige Situation und das Zeitgeschehen. Die verschickten Nachrichten basieren auf historischen Recherchen und orientieren sich eng an Originaltexten wie Zeitzeugenberichten, Protokollen der Ministerratssitzungen sowie Eisners eigenen Texten und Reden. „Zugleich nimmt sich das Projekt aber auch die Freiheit, Kurt Eisner als Figur der Geschichte emotional und atmosphärisch zu verdichten – im Stile eines digitalen Biopics. Viele Phänomene, die uns auch heute noch beschäftigen, werden thematisiert: z. B. Fake News, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit“, beschreibt der BR das Konzept des digitalen Storytellings-Projekts.

Die „Follower“ empfingen aber nicht nur die Botschaften, sondern schickten auch ihrerseits Fragen zu Politik, Eisners Privatleben, Neujahrswünschen und Aufmunterungen. Und sogar Nachfahren des Revolutionsführers haben sich mit Lob via Messenger beim Autorenteam gemeldet. Unter den gut 15.000 Menschen, die das Angebot bis dato genutzt haben, finden sich auch zahlreiche Schulklassen. Zum Ende des Digitalprojekts können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab 21. Februar in einem Online-Kondolenzbuch von Kurt Eisner verabschieden. Außerdem steht der renommierte Historiker und Eisner-Biograph Bernhard Grau am 27. Februar der gesamten Community von „Ich, Eisner!“ für ihre Fragen zur Verfügung.

WDR holt Zeitzeugen per Augmented-Reality-App digital ins Klassenzimmer

Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hat sich einer anderen wichtigen Frage im Bereich der Geschichtsvermittlung gestellt. Aktuell kommen noch regelmäßig Zeitzeugen in Schulen, um Kindern und Jugendlichen authentisch und ganz persönlich von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, vom Nationalsozialismus und von der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung zu berichten. 80 Jahre nach Kriegsbeginn gibt es allerdings immer weniger Überlebende, die aus eigener Erfahrung die Zeit vor 1945 schildern können.

Der WDR hat deshalb eine speziell für den Schulunterricht konzipierte Augmented Reality-App entwickelt, mit der die Zeitzeugen direkt ins Klassenzimmer kommen können. Die Zeitzeugen werden also wie Hologramme digital in die jeweilige Umgebung des Users eingebettet. „Wir stehen am Anfang einer Zeit ohne Zeitzeugen. Wir dürfen aber nicht vergessen, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist und welches Leid der Krieg den Menschen bringt“, sagt WDR-Intendant Tom Buhrow. „Unsere Aufgabe ist es, diese Erinnerung auch in Zukunft wachzuhalten. Mit modernster Technologie holt der WDR Zeitzeugen in Wohn- und Klassenzimmer – und macht diesen Teil unserer Geschichte auch für die nachfolgenden Generationen erfahrbar.“

Ein Team aus Dokumentarfilmern, Grafikern, Programmierern und Redaktionsmitgliedern war an der Produktion der App „WDR AR 1933 – 1945“ beteiligt. Das Verfahren wurde von der Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Medien „Mixed Reality und Visualisierung“, sowie LAVAlabs, Studio für Visual Effects, gemeinsam mit dem WDR, Redaktion Doku&Digital, entwickelt. Die Mitglieder des Teams reisten bis nach London und Sankt Petersburg, um Zeitzeugen zum Bomben-Krieg gegen England und zur Einkesselung des damaligen Leningrads zu befragen. Und auch regionale Geschichte wird lebendig: Die 1930 geborene Kölnerin Anne Priller-Rauschenberg erzählt von der Angst der Kinder im Bunker während der Luftangriffe der Alliierten. Sie hat keinen Moment gezögert, sich an dem Projekt zu beteiligen. „Meine Geschichte, die darf nicht verloren gehen. Ich sag den Kindern immer: Seid wachsam, das darf nie wieder passieren!“

Insgesamt drei Geschichten von Zeitzeugen wurden bislang produziert und sind bereits in der App enthalten. Die weiteren werden in den kommenden Monaten nach und nach veröffentlicht – darunter auch Gespräche mit zwei Freundinnen von Anne Frank. Die App kann für iOS bereits gratis runtergeladen werden, die Version für Android folgt im März. Dazu gibt es für den Unterricht umfassende Begleitmaterialien, die in Zusammenarbeit mit Planet Schule erstellt wurden. Der WDR wird in der Einführungsphase Schulen besuchen und beraten.

Mit dem VR-Truck ins „Virtuelle Bergwerk“

Zudem wird der WDR auf der Bildungsmesse didacta vom 19. bis 23. Februar in Köln seinen neu gestalteten VR-Truck vorstellen. Der ehemalige Übertragungswagen soll das „Virtuelle Bergwerk“ ins Land tragen – zu Veranstaltungen vor Ort, aber auch an Schulen und Universitäten. Auf der Messe können Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer das Virtual Reality-Erlebnis testen und sich um einen Einsatz auf ihrem Schulhof bewerben.

Nach der Premiere auf der didacta ist der VR-Truck an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen im Einsatz. Vom 5. bis 6. April etwa in
Marl, am 28. April im Nordsternpark Gelsenkirchen oder vom 27. bis 28. Mai beim Global Media Forum in Bonn.

An Bord hat der WDR VR-Truck mehrere Erlebnisstationen. Mit einer High-End-VR-Brille können Schülerinnen und Schüler etwa in das Bergwerk Prosper Haniel (Bottrop) einfahren und sehen, wie dort bis Ende 2018 Kohle abgebaut wurde. Außerdem können sie Orte in NRW kennenlernen, an denen früher Kohle abgebaut wurde.

An einer Station „Photogrammetrie“ kann man zudem die menschenleere Zeche Prosper Haniel mit einer VR-Brille auf eigene Faust erkunden. Ein ehemaliger Bergmann gibt Tipps – den Weg zur Kohle müssen die Schüler aber selbst finden. Mit der „4D Experience“ können Schülerinnen und Schüler schließlich wie vor 100 Jahren Kohle abbauen. Dabei schlüpfen sie in die Haut eines Bergmanns und müssen von Hand Kohle aus dem Flöz hauen. Wind, Geruch, Hitze und Erschütterungen des Bodens lassen das Erlebnis „unter Tage“ lebensecht wirken.

Jeweils vier Personen können zeitgleich die Angebote auf dem Truck nutzen. Der WDR wird den Truck vor Ort in der Regel 6 bis 8 Stunden am Stück einsetzen. Weitere begleitende Unterrichtsmaterialien sind in Planung.

Auch über die Messe hinaus können sich Schulen um einen Einsatz vor Ort bewerben. Bis zum 15. März können sie sich unter der Adresse glueckauf@wdr.de melden. Dort gibt es auch nähere Informationen zu den technischen Voraussetzungen, die der Truck vor Ort benötigt.

Im Frühjahr wird der WDR zudem mit einem weiteren aufwändigen Projekt den Fokus auf Zeitzeugen und ihre persönlichen Erfahrungen richten. Auf der Online-Plattform „Kindheit im Krieg“ vermitteln 120 Menschen ihre einschneidenden Erlebnisse aus verschiedenen Kriegen und Zeitepochen. Sowohl Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg als auch persönliche Berichte aus aktuellen Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan zeigen das Leid der Menschen, die als Kinder oder Jugendliche unter Totalitarismus zu leiden hatten und für die Bomben und Beschuss zum Alltag gehörten. Die ersten 50 dieser eindringlichen Gespräche werden im Frühjahr veröffentlicht. Außerdem haben User, die von ihren Kriegserlebnissen berichten wollen, die Möglichkeit, eigene Videos hochzuladen, die in Zusammenarbeit mit dem WDR der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

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