Venedig will mehr Autonomie – Radio in der Lingua veneta

Im Norden Italiens blüht eine neue regionalistische Bewegung immer mehr auf. Die rechtspopulistische Lega Nord hat am 6. Dezember im Regionalparlament Venetiens das „venetische Volk“ zu einer nationalen Minderheit erklärt und dadurch unter den Schutz einer Konvention des Europarats gestellt. Damit bekommt der venetische Dialekt einen besonderen Status wie ihn auch das Deutsche und Ladinische in Südtirol innehaben. Die „Lingua veneta“ wird damit künftig aufgewertet und stärker im öffentlichen Leben präsent sein. Autofahrer werden in der Region Venetien künftig zweisprachigen Straßen- und Ortsschildern begegnen, auch Ämter, Schulen und Behörden werden zweisprachig und Angestellten im öffentlichen Dienst könnte eine verpflichtende Sprachprüfung im Dialekt bevorstehen.

Radio in der „Lingua veneta“
In den Medien ist der venetische Dialekt noch nicht sehr gegenwärtig. Nur der 1977 gegründete Lokalsender Radio Veneto Uno aus Treviso hat Nachrichten und Sendungen in der „Lingua veneta“ im Programm. Das ist kein Zufall. Der Sender ist ein „Parteisender“, der mit einer winzigen regionalistischen Partei verbandelt ist, die für die Unabhängigkeit Venetiens eintritt. Solche Programme sind eine italienische Besonderheit. Dort können Medien, die einer Partei oder politischen Bewegung nahestehen, staatliche Zuschüsse beantragen. Das kann sich lohnen, kam es doch zeitweilig zu Auswüchsen und Millionensummen aus der Staatskasse flossen in die Projekte. In den letzten Jahren wurden die Zahlungen aber deutlich gesenkt. Veneto Uno ist dabei nicht der einzige Profiteur dieses Modells. Das landesweit sendende Radio Radicale, das zur radikalliberalen Partei gehört, bekam ebenso Beihilfen wie das Römer Radio Città Futura, das einer Gruppierung innerhalb Italiens Regierungspartei Partito Democratico nahesteht, oder das Lokalradio Galileo in Terni, das eine kleine Liste eines Senators vertritt.

Wirtschaftliche und parteipolitische Interessen
Woraus speist sich der erwachte Regionalismus in Venetien? Da sind zuvorderst finanzielle Gründe. Die Region ist wirtschaftlich erfolgreich – Unternehmen von Weltruf wie Benetton, DeLonghi, Geox oder Diesel haben hier ihren Sitz, Landwirtschaft und Weinbau (Prosecco) spielen eine wichtige Rolle und der Tourismus rund um die Lagunenstadt boomt. Das hat zur Folge, dass Venetien deutlich mehr an Steuereinnahmen nach Rom überweist, als es am Ende wieder zurückbekommt. Auch die Geschichte lässt sich für die politischen Anliegen der Gegenwart instrumentalisieren. Venedig blickt auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurück. Über 1000 Jahre bestand die Republik im Zeichen des Markuslöwen, die sich ab dem 10. Jahrhundert als Seemacht etabliert hatte und in ihrer Glanzzeit den Handel im ganzen Mittelmeerraum beherrschte. Im 17. und 18. Jahrhundert setzte ihr Niedergang ein, ehe mit der Besetzung durch Napoleon 1797 die venetische Unabhängigkeit endete. Es folgten Franzosen und Habsburger als neue Herrscher. 1866 ging Venetien nach der militärischen Niederlage Österreichs an das fünf Jahre zuvor gegründete Italien über. Es bleibt die Sehnsucht nach vergangener Größe und Wertschätzung – make Venice great again. Treibende Kraft für die erwachten venetischen Träume von mehr Autonomie ist die Lega Nord, die früher für die Idee eines unabhängigen Norditaliens eintrat, das sich des ärmeren Südens einfach entledigen sollte. Mit ihrer europakritischen, ausländerfeindlichen und regionalistischen Agenda ist sie zur bestimmenden politischen Kraft in Venedigs Regionalparlament aufgestiegen. Die Partei will möglichst bald ein Referendum über ein Autonomiestatut für Venetien abhalten. Das ist ein verlockendes Ziel, da die autonomen Regionen in Italien einen Großteil aller Steuern, die in ihrem Gebiet erhoben werden, einbehalten dürfen. Doch gibt es Unterschiede, wie viel Geld am Ende in der Landeskasse bleibt. Sizilien hat die volle Finanzautonomie und kann über 100 Prozent seiner Steuereinnahmen selber verfügen, Trentino-Südtirol und das Aostatal immerhin noch über 90 Prozent, Sardinien über 70 Prozent und Friaul-Julisch-Venetien über 60 Prozent. Bis auf die Ausnahme Siziliens handelt es sich bei den Autonomen Regionen um Gebiete mit Sprachminderheiten. Die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung in Trentino-Südtirol, die Grenzregion Friaul-Julisch-Venetien, in der auch Slowenisch, Furlanisch und Deutsch anerkannte Sprachen sind, das Aostatal mit seiner französischsprachigen Bevölkerung und die Sarden auf Sardinien. Im Fall von Sizilien waren es neben der Insellage historische Besonderheiten, die zu seiner weitgehenden Autonomieregelung führten. 1943 landeten die Alliierten auf Sizilien. In den folgenden Jahren entstand eine Unabhängigkeitsbewegung auf der Insel, der mit dem 1946 erlassenen Autonomiestatut erfolgreich der Wind aus den Segeln genommen wurde.

Die Aufwertung des Dialekts, oder nach Willen des Parlaments der – trotz Einwänden von Linguisten – venetischen Sprache, hat auch eine dunkle Seite. Die alteingesessenen Venetianer sprechen und verstehen den Dialekt recht problemlos, andere Italiener, gar aus dem Süden, schon schlechter, Einwanderer noch weniger. Es ist auch ein Akt der Abschottung, des Wir und Die. In einem historisch gesehen jungen Nationalstaat wie Italien können solche Regionalbewegungen langfristig problematisch sein – einer venetianischen kann mit ähnlicher Begründung eine lombardische, piemontesische, genuesische oder toskanische folgen. Der Konflikt zwischen dem reichen Norden, dessen Bürger seit der Wirtschaftskrise immer weniger Lust auf Finanzausgleich und Umverteilung verspüren, und dem armen, wirtschaftlich rückständigen Süden schwelt weiter.

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