Pressefreiheit in Europa ist zunehmend bedroht

Reporter ohne Grenzen (ROG) hat heute seine Rangliste der Pressefreiheit 2018 veröffentlicht. Demnach hat sich die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr in keiner anderen Weltregion so stark verschlechtert wie in Europa. Journalistinnen und Journalisten seien dort zunehmend medienfeindlicher Hetze durch Regierungen oder führende Politiker ausgesetzt. Das schaffe ein feindseliges, vergiftetes Klima, das oft den Boden für Gewalt gegen Medienschaffende oder für staatliche Repression bereite.

„Demokratien leben von öffentlicher Debatte und Kritik. Wer gegen unbequeme Journalistinnen und Journalisten polemisiert oder gar hetzt und die Glaubwürdigkeit der Medien pauschal in Zweifel zieht, zerstört bewusst die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft“, sagte ROG-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Hass und Verachtung gegen Journalistinnen und Journalisten zu schüren, ist in Zeiten des Vormarschs populistischer Kräfte ein Spiel mit dem Feuer. Leider erleben wir das zunehmend auch in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.“

Reporter ohne Grenzen konstatiert, dass medienfeindliche Hetze als staatliches Programm längst nicht mehr auf repressive Regime wie in der Türkei oder Ägypten beschränkt ist, wo Regierungen kritische Journalisten routinemäßig als „Verräter“ und „Terroristen“ diffamieren und verfolgen. Auch immer mehr demokratisch gewählte Staats- und Regierungschefs stellten die Medienfreiheit und damit eine der Grundfesten jeder pluralistischen Gesellschaft in Frage und behandelten kritische Medien unverhohlen als Feinde, zum Beispiel in Ungarn und Polen.

Vier der fünf Länder, deren Platzierung sich in der neuen Rangliste der Pressefreiheit am stärksten verschlechtert hat, liegen in Europa: die EU-Mitglieder Malta, Tschechien und Slowakei sowie das Balkanland Serbien. In diesen Ländern sind Spitzenpolitiker durch verbale Anfeindungen, Beschimpfungen und juristische Schritte gegen Journalistinnen und Journalisten aufgefallen. Zum Teil engen dort auch die Besitzverhältnisse der Medien die Freiräume für kritische Berichterstattung ein. Auch in so unterschiedlichen Ländern wie den USA, Indien und den Philippinen verunglimpfen hochrangige Politiker – darunter auch Staatschefs – kritische Journalisten gezielt als Verräter.

Stärkster Absteiger in der Rangliste der Pressefreiheit 2018 ist Malta, das sich innerhalb eines Jahres um 18 Plätze auf Rang 65 verschlechterte. Der Mord an der Investigativjournalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 habe sichtbar gemacht, wie eng in dem EU-Land das Geflecht von Politik, Justiz und Wirtschaft ist und unter welch immensem Druck Journalisten dort auch infolge weitreichender Verleumdungsgesetze arbeiten. Gegen Caruana waren zum Zeitpunkt ihrer Ermordung mehr als 40 Verleumdungsklagen anhängig.

ROG kritisiert auch, dass in immer mehr Regierungen demokratisch verfasster Staaten medienfeindliche Rhetorik und Politik hoffähig geworden ist. So haben sich auch die USA im ersten Amtsjahr von Präsident Donald Trump erneut um zwei Plätze auf der Rangliste verschlechtert (auf Platz 45). Trump werde nicht müde, unliebsame Medien als „lügnerisch“ zu diffamieren, und hat Journalisten als „Volksfeinde“ bezeichnet – eine Wortwahl, die einst der sowjetische Diktator Josef Stalin verwendete. Immer öfter würden in den USA Journalisten festgenommen, wenn sie über Demonstrationen berichten. Auch unter Trump werden Whistleblower unter Spionagevorwürfen verklagt und Journalisten an der Grenze durchsucht.

Auszüge aus der RoG-Pressemitteilung:

Deutschland auf Platz 15 von 180

Die Rangliste der Pressefreiheit 2018 vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Untersucht wurde das Kalenderjahr 2017. Grundlagen der Rangliste sind ein Fragebogen zu diversen Aspekten unabhängiger journalistischer Arbeit sowie die von ROG ermittelten Zahlen von Übergriffen, Gewalttaten und Haftstrafen gegen Journalisten. Daraus ergeben sich für jedes Land Punktwerte, die im Verhältnis zu den Werten der übrigen Länder die Platzierung in der Rangliste bestimmen. Je nach dem Abschneiden anderer Länder kann ein Land deshalb im Einzelfall in der Rangliste aufrücken, obwohl sich seine Punktzahl verschlechtert hat. In der aktuellen Rangliste hat sich in 42 Prozent der bewerteten Länder die Lage im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert.

Deutschland ist um einen Platz vom 16. auf den 15. Rang vorgerückt. Erneut registrierte Reporter ohne Grenzen eine hohe Zahl an tätlichen Übergriffen, Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Journalisten, insbesondere bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017. Problematisch sind zudem das Anfang 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hassäußerungen in sozialen Medien; sie sorgten auch international für Diskussionen. (Mehr dazu in der „Nahaufnahme Deutschland“)

Demokratische Regierungen machen Front gegen Journalisten

Mit Polen rutscht ein führendes EU-Land weitere vier Plätze auf Rang 58 ab. Die national-konservative Regierung hat nach ihrem Amtsantritt Ende 2015 den öffentlichen Rundfunk unter ihre Kontrolle gebracht. Regierungskritische private Medien stehen ebenfalls stark unter Druck. Schlagzeilen machte das Land zuletzt etwa durch ein problematisches Gesetz zu Äußerungen über den Holocaust sowie durch den Versuch des National Rundfunkrats, den Nachrichtensender TVN24 für seine Berichterstattung über Demonstrationen der Opposition mit einer Rekord-Geldstrafe zu belegen.

In Ungarn (73, -2) bestimmt die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban teils mit wörtlich vorgefertigten Stücken die Berichterstattung im staatlichen Rundfunk. Im Sommer 2017 kauften Orban-freundliche Unternehmer die letzten unabhängigen Regionalzeitungen auf.

Lange bevor in der Slowakei (27, -10) im Februar 2018 der Investigativreporter Jan Kuciak ermordet wurde, beschimpfte der inzwischen zurückgetretene Ministerpräsident Robert Fico Journalisten als  „dreckige anti-slowakische Prostituierte“, „Idioten“ und „Hyänen“. Immer wieder werden Journalisten eingeschüchtert oder von Politikern verklagt. Viele Medien sind in der Hand lokaler Oligarchen; der staatliche Rundfunk steht unter zunehmendem politischen Druck.

Im benachbarten Tschechien (34, -11) ist Staatspräsident Milos Zeman durch Entgleisungen wie seinen Auftritt bei einer Pressekonferenz aufgefallen, bei der er eine Kalaschnikow-Attrappe aus Holz mit der Aufschrift „für Journalisten“ präsentierte. Oligarchen mit verzweigten Geschäftsinteressen kontrollieren einen Großteil der tschechischen Medien. Einer von ihnen ist Andrej Babis, der seit Ende 2017 Ministerpräsident ist und dem zugleich die beiden wichtigsten Zeitungen des Landes gehören. Mehrere aktuelle Gesetzentwürfe zielen darauf, das Strafmaß für Verleumdung in Tschechien zu erhöhen, insbesondere für Präsidentenbeleidigung. Europa und Zentralasien

Türkei hält Rekord für die meisten inhaftierten Journalisten

In der Türkei (157, -2) sitzen mehr professionelle Journalisten im Gefängnis als in jedem anderen Land der Welt.
Dutzende stehen in Massenprozessen vor Gericht und müssen sich als vermeintliche Mittäter des Putschversuchs von 2016 oder wegen Terrorvorwürfen verantworten. Die ersten von ihnen wurden bereits zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Rechtsstaat ist in der Türkei nur noch Fassade: Selbst Urteile des Verfassungsgerichts zugunsten inhaftierter Journalisten werden nicht verlässlich umgesetzt.

In Russland (148, unverändert) verbreiten die staatlichen Medien unablässig Regierungspropaganda. Unabhängige Medien werden massiv bedrängt und finanziell ausgetrocknet, ausländische Medien können inzwischen als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt werden. Mehr als 40 Journalisten und Blogger wurden der Menschenrechtsorganisation Agora zufolge 2017 zu Haftstrafen verurteilt und fünf zwangsweise in die Psychiatrie eingeliefert. Täglich blockieren die Behörden Dutzende Webseiten.

In Serbien (76, -10) hat sich das Klima für die Medien weiter verschärft, seit Ex-Ministerpräsident Aleksander Vucic im 2017 zum Präsidenten gewählt wurde. Vucic benutzt regierungsnahe Medien, um kritische Journalisten einzuschüchtern und als Verräter oder Spione in ausländischen Diensten zu diffamieren.

Kirgistan (98, -9) zeichnet sich im Vergleich zu den anderen Ex-Sowjetrepubliken in Zentralasien immer noch durch eine relativ pluralistische Medienlandschaft aus. Dennoch wurden dort mehrere Journalisten wegen Präsidentenbeleidigung zu horrenden Geldstrafen verurteilt.

In Belarus (155, -2) hat die Regierung mit Repression auf Proteste der Opposition reagiert. 2017 wurden dort mindestens 100 Journalisten kurzzeitig festgenommen und mehr als 60 von Gerichten verurteilt, weil sie für Medien mit Sitz im Ausland arbeiten.

In Usbekistan (165, +4) mehren sich die Signale für eine Lockerung der Repression, seit Ende 2016 der neue Präsident Schawkat Mirsijojew ins Amt kam. Mehrere teils seit vielen Jahren inhaftierte Journalisten wurden freigelassen. Dennoch bleiben die Medien weitgehend vom Staat kontrolliert, oppositionelle Nachrichtenportale werden zensiert. 2017 wurden erneut zwei Journalisten verhaftet, insgesamt sitzen derzeit neun Medienschaffende im Gefängnis.

Norwegen und Schweden sind Pressefreiheit-Spitzenreiter

An der Spitze der Rangliste hat sich Norwegen behauptet, unverändert gefolgt von Schweden. Die Niederlande rücken um zwei Plätze auf Rang 3 auf: Finnland, das noch vor zwei Jahren den ersten Platz der Rangliste einnahm, verschlechtert sich nach einem Skandal um die redaktionelle Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks YLE und nach einer umstrittenen Durchsuchung bei einer führenden Tageszeitung um einen weiteren Platz auf Rang 4.

Am Ende der Rangliste der Pressefreiheit stehen wie schon 2017 Nordkorea (180), Eritrea (179) und Turkmenistan (178) – Diktaturen, die keinerlei unabhängige Medienberichterstattung zulassen.

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