Digitalradio in Paris mit 37 Programmen gestartet

Heute startete in Frankreich offiziell das Digitalradio (La radio numérique terrestre – RNT), ein bisschen zumindestens. Den Anfang machen die Hauptstadt Paris sowie Marseille und Nizza im Südosten Frankreichs. Weitere Städte sind für das kommende Jahr angedacht. Doch der Start des Digitalradios steht unter keinen guten Vorzeichen, die Erwartungen sind gering. Die öffentliche Wahrnehmung fällt schwach aus, große Marketingkampagnen fehlen.

Private Radiogruppen und Radio France beteiligen sich nicht
Die großen Privatradiogruppen (NRJ, RTL, Lagardère und NextradioTV) beteiligen sich nicht am Digitalradioprojekt, sondern machen gemeinsam Front gegen das gesamte Unterfangen. Die großen Player im französischen Markt setzen auf IP-Radio. Ihre Programme sollen in Zukunft über leistungsstärkere Mobilfunknetze (4G) verbreitet werden, terrestrisches Digitalradio als Zwischenlösung wird als überflüssig angesehen. Ihre Interessenvertretung, das Bureau de la Radio, verweist auf die Erfolglosigkeit von DAB+ im übrigen Europa, die hohen Kosten für die parallele Ausstrahlung (UKW/digital) und die nicht vorhandene Wirtschaftlichkeit des ganzen Szenarios.

Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt außen vor. Im September 2012 gab die französische Regierung entsprechende Fördergelder für den Netzaufbau nicht frei, auch hier überwiegt also die Skepsis. Daraus resultierend ist die Aufmerksamkeit für den heutigen Start gering, die Schlagzeilen in der französischen Presse fallen überwiegend negativ aus. Von einer Totgeburt ist vielfach zu lesen. Mit Radio France und den großen Privatradios sind rund 80% des französischen Radiomarktes nicht beteiligt.

Unabhängige Privatradios treiben Digitalradio voran
Einziger Fürsprecher für das Digitalradio bleiben die unabhängigen Privatradios und die nicht-kommerziellen Sender. Les Indépendants vertreten durch die Organisation SIRTI haben sich in den letzten Monaten und Jahren immer wieder vehement für den Digitalradiostart in Frankreich eingesetzt. Senderketten wie Radio Nova, Radio FG, Skyrock oder Ouï FM sehen in der Digitalisierung eine Chance auf Augenhöhe mit den großen Vier der Branche zu kommen. Bisher verfügen diese Gruppen auf UKW nur über äußerst lückenhafte Sendernetze.

37 Programme seit heute in Paris on air
Trotz dieser schlechten Rahmenbedingungen können Hörer in Paris, die zu den wenigen Besitzern eines Digitalradioempfängers gehören, seit heute 37 Programme im Digitalradio empfangen. Dabei wird eine durchaus beeindruckende Vielfalt, gerade an Spartenradios und Nischenformaten, geboten. So gibt es neben Programmen für in Paris lebende Chinesen oder die englischsprachige Community, bei Séquence FM Filmmusik rund um die Uhr und auf Radio Crooner Musikklassiker im Crooning-Stil.

Die neuen Programme
Einen Großteil der Sender können die Einwohner der Hauptstadt auch parallel auf UKW hören, etliche Programme sind digital allerdings erstmalig rund um die Uhr terrestrisch zu empfangen (Ado, Africa n°1, AYP FM,Beur FM, Chante France, Espace FM, Evasion, Fréquences Paris Plurielle, Frequence Protestante, Ici et Maintenant, Latina FM, Néo, Radio Campus, Radio Courtoisie, France Maghreb 2, Radio Orient, Radio Pays, Vivre FM, Voltage, Radio Soleil, Radio Alfa). Dazu kommen neue Anbieter (Antinea Radio, Euronews Radio, Paris Mandarin, LCF: La chine en Francais, Radio Crooner, Séquence FM, Phare FM, World Radio Paris, RAJE Paris, Medi 1 France, Fréquence India, PIMG Radio), Ableger bestehender Programme (FG Chic) und Regionalradios aus anderen Teilen Frankreichs (Radio Monaco, Top Music aus dem Elsass, Vitamine aus Südfrankreich).

Nicht alle lizenzierten Anbieter gingen heute auf Sendung. Insgesamt 58 Lizenzen wurden bei der Ausschreibung im Jahr 2012 allein in Paris vergeben. Das erste Pariser Multiplex schweigt aktuell zum Beispiel noch, da sich die ausgewählten Sender nicht auf die Gründung eines gemeinsamen Sendernetzbetreibers einigen konnten. Damit fehlen in der Hauptstadt vorerst weitere Programme mit Zugkraft wie Radio Notre-Dame, OÜI FM, Radio FG, TSF Jazz, Radio Nova, Skyrock, Jazz Radio, MFM Radio und Sud Radio+.

Ein Standard ist nicht genug
In Sachen Übertragunsstandard hielt Frankreich lange an einem Sonderweg fest und setzte auf T-DMB. Mittlerweile wurde DAB+, wie in den meisten europäischen Staaten üblich, als weiterer Standard zugelassen. Die Sender können wählen, auf welchem Weg sie senden wollen. Die Mehrzahl der Programme wird wohl auf DAB+ setzen, wie viele hingegen an DMB festhalten ist noch unklar.

Totgeburt oder Chance für die „kleinen“ Sender?
Bleibt abzuwarten, wie viele Hörer die neuen Angebote entdecken und ob ohne die bekannten nationalen Radiomarken wie NRJ, RTL, Europe 1 oder France Inter als Zugpferde das Digitalradio in Frankreich eine Nische für sich finden kann. Immerhin können, zusammen mit den Testensembles in Nantes und Lyon, jetzt rund 20% der französischen Bevölkerung das Digitalradio technisch empfangen. Der Name RNT ist angelehnt an TNT (DVB-T in Frankreich), sonst sind die Parallelen zur erfolgreichen Einführung des digitalen Antennenfernsehens gering. Kein Switchover, wenig Unterstützung, kaum Werbung. Schwierige Voraussetzungen für die Beteiligten.

Nachtrag 21. Juni 2014
In Nizza verzögert sich die Aufschaltung, an der Côte d’Azur soll das Digitalradio jetzt erst Mitte Juli starten.

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