Bosnischem Rundfunk droht Finanzkollaps

Der öffentlich-rechtliche bosnische Rundfunk (BHRT) könnte zum Monatsende seinen Sendebetrieb vorerst einstellen müssen, warnt die Europäische Rundfunkunion (EBU). Es wäre ein Novum, dass ein EBU-Mitglied aus finanziellen Gründen zu einem solchen Schritt gezwungen wäre. Die finanzielle Lage beim überschuldeten BHRT hat sich so dramatisch entwickelt, da die Rundfunkgebühren schon seit Jahren nur unzureichend eingetrieben werden. Anders ausgedrückt, zu wenig bosnische Bürger zahlen überhaupt noch ihre Rundfunkgebühr. Sie sind aber die Haupteinnahmequelle der Sendeanstalt. Auch fehlt es an einem Beitragsservice, der aktiv Gebühren einfordert.

Zwei Landesteile, viele Probleme
Im ehemaligen Bürgerkriegsland wurde zudem ein Rundfunksystem geschaffen, das bis heute nicht richtig funktioniert. Es existiert die landesweite Sendeanstalt, BHRT, die ein Fernseh- und ein Radioprogramm (BH Radio 1) produziert. Daneben bestehen zwei eigene Sendeanstalten für die beiden Landesteile, in die der Staat nach dem Bürgerkrieg geteilt wurde – die Republika Srpska für die bosnischen Serben (RTRS) und die bosniakisch-kroatische Föderation (Radio-televizije Federacije BiH).

Ein Teil der Finanznot beim nationalen Rundfunk rührt auch daher, dass die beiden regionalen Sender über Jahre einen Teil ihrer Abgaben an den nationalen Rundfunk säumig geblieben sind. Eigentlich sollten 50% der Gebühren und der gesamten Werbeeinnahmen an BHRT gehen und je 25% an die Regionalsender. Sie werden aber nicht immer auch weitergeleitet. Die regionalen Sendeanstalten und ihre Personalpolitik stehen zudem unter dem starken Einfluss der jeweiligen Parteien. Eine sinnvolle Kooperation und einen Programmaustausch zwischen den Regionalsendern gibt es kaum, dazu kommt Missmanagement. Dringend nötige Reformen, vor allem der Rundfunkgebühr, wurden von der zerstrittenen Politik immer wieder vertagt.

Sendeanstalt für bosnische Kroaten?
Im Hintergrund schwelt ein alter Konflikt, der die Debatten über die drängenden Finanzfragen überlagert. Politiker der bosnischen Kroaten forderten zuletzt wieder vermehrt die Einrichtung einer eigenen Sendeanstalt für die kroatische Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas. Ein entsprechender Gesetzentwurf des Kommunikationsministers, der eine dritte Sendeanstalt mit Sitz in Mostar vorsieht, liegt aktuell auf dem Tisch. In der polarisierten politischen Landschaft wird oft der Sinn einer gesamtbosnischen Sendeanstalt, die über die Grenzen der Landesteile und Sprachgebiete hinweg sendet, ganz generell in Frage gestellt. Die internationalen Hohen Repräsentanten der UNO hatten beim Wiederaufbau des bosnischen Rundfunks versucht, gerade das landesweite BHRT zu stärken, um dem vorhersehbaren Zerfallsprozess in Bosnien-Herzegowina entgegenzuwirken.

Auf den ersten Blick spricht eigentlich nichts dagegen, dass jede der drei Bevölkerungsgruppen einen eigenen Sender hätte. In Europa gibt es verschiedene Lösungen für mehrsprachige Länder. Die Schweiz hat Sendeanstalten in Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, die unter einem gemeinsamen Dach operieren. In Belgien gibts es getrennte Rundfunkanstalten in Flämisch, Französisch und Deutsch – hier fehlt eine überregionale Dachgesellschaft. Beides kann funktionieren. In Bosnien-Herzegowina ist die Lage aber wesentlich komplexer. Die bloße Debatte über einen kroatischen TV-Kanal bringt das ganze fragile Gebilde, das mit dem Friedensabkommen von Dayton in den 1990er Jahren geschaffen wurde, unter Spannung, auch weil die bosnische Politik auf allen Seiten solche Fragen immer wieder instrumentalisiert und im Wahlkampf nationalistische Stimmungen schürt. Dahinter tritt allerdings auch die tiefergehende Frage nach einer Teilung der bosniakisch-kroatischen Föderation und der generellen Zukunft Bosniens hervor. Und eine solche Scheidung würde wiederum das Gleichgewicht mit dem bosnisch-serbischen Landesteil empfindlich stören.

Deutlich wird diese verwickelte und verfahrene Lage, in die mangelndes gegenseitiges Vertrauen geführt hat, an einem Beispiel. Eigentlich hat Bosnien-Herzegowina nämlich noch eine kleine vierte öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Das Radioprogramm für den Distrikt Brčko im Nordosten. Über dieses Gebiet wurden sich die beiden Landesteile nicht einig – für die Republika Srpska ist es die Verbindung zwischen den ansonsten geteilten Landeshälften im Osten und Norden, die Region war aber vor dem Krieg zum Stichtermin mehrheitlich bosniakisch bewohnt und bildet den Donauzugang für die Föderation. 2000 wurde deshalb eine Sonderverwaltungszone geschaffen, der Distrikt verwaltet sich seitdem unter dem Zentralstaat quasi selbst, einschließlich eigener Rundfunkanstalt. Eine durchaus europäische Lösung, erinnert sie doch an die Situation in Brüssel mit seinen paritätisch besetzten flämisch-wallonischen Kommissionen als Kompromissformel.

Die bosnischen Kroaten haben genau genommen auch schon einen eigenen Radiosender, der aber nicht Teil des offiziellen öffentlich-rechtlichen Rundfunkystems ist. Radio Herceg-Bosne (die andere Reihenfolge des Landesnamen war hier durchaus einst als Kampfansage zu verstehen) entstand im Bürgerkrieg und sendet seit 1993 aus Mostar. Der kroatischsprachige Sender ist in weiten Teilen Bosniens über UKW zu hören.

EBU wartet auf Geld
In Folge der Finanzkrise bei BHRT wartet auch die EBU noch auf Geld – 6 Millionen Schweizer Franken müsste Bosnien entrichten, u.a. für seinen Anteil an den Senderechten an der anstehenden Fußball-EM. Bosniens TV-Zuschauer könnten also schlimmstenfalls ganz auf Bilder von der EM verzichten müssen. Die EBU hat eine Deadline bis Mittwoch gesetzt, dis dahin muss eine Lösung für die finanziellen Probleme auf den Weg gebracht sein. Die vorherige Frist am 31. Mai war ergebnislos verstrichen. Damit hat man bei der Rundfunkunion, in der 73 öffentlich-rechtliche Sender aus 56 Staaten zusammengeschlossen sind, allerdings schon Erfahrung, erst im April hatte man dem rumänischen Rundfunk die Mitgliedsrechte entzogen, da seit 2007 16 Millionen Schweizer Franken Schulden aufgelaufen waren.

Update 10.6.2016: Die Fußball-EM kann in Bosnien-Herzegowina doch noch im Fernsehen laufen. BHRT handelte in letzter Minute einen Deal aus und zahlte 10% seiner Schulden bei der EBU.

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